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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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stirnrunzelnd auf den Baumstamm, der durch das Fenster geflogen war; ein anderer stieß einen verwirrten Aufschrei aus, als er die blauen Blutflecken entdeckte.
    »So, so«, Inspektor Wenzel fixierte mich mit skeptischem Blick, »es ist also nichts passiert. Und wie wollen Sie mir erklären, dass Ihr Wohnzimmer so aussieht, als hätte hier ein Hurrikan gewütet?«
    Ich rang nach Worten; noch ehe ich welche fand, fühlte ich, wie Nele meinen Arm ergriff. »Bitte Sophie, du musst unbedingt sagen, was passiert ist! Hier sieht es ja schrecklich aus! Hat es … hat es mit diesen grauenhaften Morden zu tun?«
    Ich starrte in ihr Gesicht und zugleich durch sie hindurch. Die Morde … echote es in meinen Ohren … Caspars Morde … die Morde seiner Kreaturen … um sich die Kräfte ihrer Opfer anzueignen …
    Wie dicht war er mir auf den Fersen? Umlauerten er und seine Scharen bereits die Villa?
    Ich schüttelte Neles Arm ab. »Lass mich los!«, schrie ich ungeduldig. »Das ist mein Haus!«, wandte ich mich mit etwas gemäßigterem Tonfall an die Beamten. »Sie haben kein Recht, es einfach so zu betreten! Gehen Sie! Es ist der falsche Zeitpunkt, um Fragen zu stellen!«
    Roland Wenzel wechselte mit seinen Kollegen einen knappen Blick; manche wirkten misstrauisch wie er, andere beunruhigt, wieder andere regelrecht verdutzt.
    Nele packte mich fester.
    »Wo ist Aurora?«, rief sie panisch.
    Der Inspektor nickte bekräftigend. »Das würde mich allerdings auch interessieren. Ihre Tochter ist sieben Jahre alt, oder?«
    Aus dem Misstrauen wurde Verachtung. Glaubten sie etwa, ich hätte meinem Kind etwas angetan? Selbst das Wohnzimmer in dieses Chaos verwandelt? Dass ich selbst einen Baumstamm durchs Fenster geworfen hatte, konnten sie mir doch nicht ernsthaft zutrauen!
    »Meiner Tochter geht es gut. Es ist alles in Ordnung. Sie ist … sie ist … « Ich brach ab. »Bitte gehen Sie endlich!«, sagte ich wieder. »Es bleibt wirklich keine Zeit mehr, um … «
    »Keine Zeit mehr für was?«, fiel mir der Beamte ins Wort.
    Es war unmöglich, den Satz, der mir in den Sinn gekommen war, zu Ende zu bringen.
    Es bleibt keine Zeit mehr, hier herumzustehen und zu plaudern. Denn sonst werdet ihr alle sterben. Sonst werden euch Nephilim abschlachten, Schlangensöhne … eine unsterbliche Rasse, die die Erde bevölkert, einzig von den Wächtern in Zaum gehalten, gleicher Natur wie sie, aber im Gegensatz zu ihnen Beschützer der Menschheit.
    Ich atmete tief durch und suchte händeringend nach einer Ausrede. »Meine Tochter ist bei ihrem Vater«, stieß ich endlich hervor, »wirklich, es geht ihr gut.«
    Neles Augen weiteten sich entgeistert. »Sie ist bei Nathan? Bei Nathanael Grigori? Er ist tatsächlich wieder hier aufgetaucht? Und ich habe mich schon gefragt, warum du vorhin … «
    »Wer, bitte schön, ist Nathanael Grigori?«, fuhr der Inspektor schroff dazwischen.
    Ich fuhr zusammen, nicht wegen dieser Frage, sondern weil ich glaubte, ein Geräusch zu hören – ein fast schon vertrautes Zischeln, Rascheln, Rauschen. Mein Blick ging zum Fenster; ich glaubte eine der schwarzen Gestalten vorbeihuschen zu sehen, vielleicht auf der Suche nach mir, vielleicht auf der Suche nach Aurora.
    »Nathan Grigori ist tatsächlich Auroras Vater«, erklärte Nele rasch. »Er hat Sophie damals vor acht Jahren … «
    »Halt!«, fuhr ich ihr schroff über den Mund, »das geht niemanden etwas an. Und zu den Polizisten gewandt, sagte ich: »Und Sie verlassen nun auf der Stelle mein Haus. Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl? Nein? Dann dürfen Sie hier gar nicht sein. Das ist … das ist … Hausfriedensbruch!«
    Nele packte mich an beiden Schultern und zwang mich, sie anzusehen. »Sophie … was redest du denn da? Komm zu dir! Die Beamten wollen dir doch helfen! Was immer auch geschehen ist, du musst dich endlich beruhigen!«
    »Mich beruhigen? Hast du überhaupt eine Ahnung, was … «
    Ich biss mir auf die Zunge. Egal, wie oft ich sie noch darum bitten würde – die Polizeibeamten machten keine Anstalten, zu gehen. Sie tauschten nicht länger nur untereinander Blicke aus, sondern auch mit Nele – und zu meiner Bestürzung sah ich in ihren Augen nicht nur Verwirrung und Panik, sondern auch Resignation. Sie nickte, als wollte sie bestätigen, dass ich tatsächlich den Verstand verloren hätte …
    Womöglich hatte sie ihnen bereits vorhin am Telefon gesagt, dass ich nervlich in einem ziemlich desolaten Zustand und in der Zwischenzeit vielleicht völlig

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