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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Schwester, schien ihm aufzugehen, dass es ein schwerer Fehler gewesen war, sie nur zu verletzen und nicht zu töten. Ob er es einfach nicht gekonnt oder vielmehr nicht gewollt hatte, wusste ich nicht – doch in seinem Gesicht sah ich die Verwunderung darüber, dass ich zurückgekommen war und mich um Cara kümmerte.
    Noch mehr Blut quoll aus ihrer klaffenden Wunde. Ich zögerte nicht länger, zog mir rasch die Jacke aus, von der ich gar nicht gewusst hatte, dass ich sie überhaupt trug, und presste sie auf ihre Brust. Augenblicklich sog sich der Stoff mit blauer, zäher Flüssigkeit voll. Ich unterdrückte meinen Ekel, den mir nicht nur der Anblick des Blutes bereitete, sondern auch die ungewohnte Kälte ihrer Haut.
    Zunächst schien Cara unter meinen Händen immer starrer zu werden, ihr Gesicht noch weißer, der Blick noch leerer, aber dann ging ein Ruck durch ihren Körper, und sie richtete sich langsam auf.
    Ich hörte einen wütenden Aufschrei von Caspar. Er wollte auf uns losstürzen, wurde von Nathan jedoch zurückgehalten. Wenn Caspar auch nicht mit seinem Schwert auf mich losgehen konnte, so schien er mich zumindest mit seinem Blick zu durchbohren. Kurz starrte ich gebannt in seine schwarzen Augen und erkannte in ihnen blanke Mordlust.
    »Du …!«, setzte er an.
    »Macht, dass ihr fortkommt!«, schrie Nathan.
    Und wieder hatte ich das Gefühl, dass die Zeit nicht voranschritt, sondern sich im Kreis drehte, dass ich meine Lage nicht wirklich zum Besseren wenden konnte, sondern immer wieder zum quälenden Ausgangspunkt zurückkehren musste. Ich zog an Caras schlaffer Hand. Ich stützte ihren kraftlosen Körper und führte sie den Berg hinunter. Halb rutschend, halb stolpernd kamen wir voran, immer mit der Angst im Nacken, dass jemand uns stoppen könnte.
    Doch ich hatte mit Nele den Wald erreicht – ich würde es auch mit Cara schaffen. Ihr Gesicht war zwar schmerzverzerrt, aber sie atmete und konnte gehen.

    »Wo ist sie? Wo habt ihr sie versteckt?«
    Ich blieb zum ersten Mal stehen und stützte Cara mit beiden Armen, als sie keuchend um Worte rang. Zu sprechen schien sie ungeheure Kraft zu kosten. Bis jetzt waren wir gut durch den Wald gekommen, aber nun sprudelte neues Blut aus ihrer Brust; sie wurde noch bleicher und sackte auf die Knie.
    »Wo ist Aurora?«
    Wieder versuchte sie zu sprechen, doch ehe sie ein Wort hervorbrachte, hob sie angstvoll den Kopf. Wurden wir verfolgt? Hatte doch eine von Caspars dunklen Kreaturen überlebt – bereit, sich auf uns zu stürzen? Ich horchte angestrengt in den Wald, vernahm aber kein Geräusch, weder Vogelgezwitscher noch das Rauschen des Windes.
    »Cara, wohin soll ich dich bringen?«
    Kurz fürchtete ich, sie würde noch schwächer werden, reglos auf dem Waldboden liegen bleiben, doch dann biss sie die Zähne zusammen und kämpfte darum, wieder aufzustehen. »Ich … brauche … nur … Zeit … «
    »Und Aurora?«
    »Bei … Josephine … «
    Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, wen sie meinte. Die gutmütige, ältere Frau vom winzigen Lebensmittelladen gehörte nicht hierher, war Teil einer Normalität, die es längst nicht mehr gab. Doch als Cara bekräftigend nickte, ging mir auf, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Josephine war unauffällig. Caspar würde nie auf die Idee kommen, ausgerechnet in diesem kleinen, überschaubaren Laden nach Aurora zu suchen.
    Cara ging ein paar Schritte, hielt wieder inne. »Lauf vor!«, bat sie mich.
    »Wenn du nicht mehr weiterkannst, lasse ich dich zurück. Aber solange du es schaffst, Fuß vor Fuß zu setzen, bleibe ich bei dir und helfe ich dir«, sagte ich entschieden.
    Wieder fragte ich mich, ob und wie ihre Selbstheilungskräfte wirkten. Ohne Zweifel musste sie über solche verfügen, sonst wäre sie längst verblutet. Ich presste ihr im Gehen weiterhin meine Jacke, von der es dunkel tropfte, auf die Brust. Auch ich selbst war längst über und über mit blauem Blut verschmiert. Ich hatte keine Ahnung, wie wir das Josephine erklären sollten.
    Cara schien meine Gedanken zu erahnen und brachte stoßweise Worte hervor: »Habe mich mit ihr angefreundet … schon vor langem … Hilfsbereit … immer freundlich … vor allem … keine Fragen.«
    Wir hatten weitere zehn Schritte geschafft und waren nun bei einem besonders steilen Stück angekommen. Wir rutschten über den knirschenden Waldboden von Baumstamm zu Baumstamm. Die Rinde grub sich in meine Handflächen.
    »Warum hat Caspar dich nicht

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