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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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getötet?«
    Wieder konnte sie mir nicht in ganzen Sätzen antworten. »Nathan … ihn aufgehalten … aber selbst wenn … hätte es nicht übers Herz gebracht … «
    Sie atmete tief ein, es klang rasselnd. »Als Kind war er so wie ich … so verloren … die Welt unseres Vaters war ihm so verhasst. Aber er hat sich angepasst, während ich Widerstand geleistet habe.«
    Ihre Stimme wurde schwächer, und ich wollte nicht weiterfragen, um sie nicht noch mehr anzustrengen. Es verwirrte mich nicht nur, dass Caspar Cara nicht getötet hatte, sondern dass er – jetzt, wo seine Armee offenbar ausgelöscht war – ganz alleine gegen Nathan kämpfte. Warum hatte er, doch gewiss ahnend, dass seine Schar nicht stark genug sein würde, sich auf diesen Fall nicht besser vorbereitet und sich nicht einen noch größeren Vorteil gegenüber seinem Erzfeind verschafft? Warum ließ er sich ausgerechnet jetzt auf einen vermeintlich ebenbürtigen Kampf ein, den er jahrhundertelang, selbst nach Serafinas Tod, gemieden hatte? Konnte es sein, dass er noch einen Trumpf, von dem wir nichts wussten, in der Hinterhand hatte?
    Es war müßig, darüber nachzudenken. Wir rutschten, stolperten, fielen und standen immer wieder auf. Jedes Mal hatte ich Angst, Cara würde die Kraft dazu nicht finden, doch jedes Mal ging es irgendwie weiter.
    Und dann vernahm ich in der Ferne endlich das Geräusch von vorbeifahrenden Autos. Ich hätte nie gedacht, dass das in meinen Ohren einmal wie Musik klingen würde.
    »Wir sind auf der Höhe der Villa … «, stammelte Cara, »noch ein kurzes Stück … dann kommen wir direkt bei Josephines Laden aus dem Wald … «
    Ich wagte kaum zu hoffen, dass wir unserem Ziel tatsächlich schon so nah waren. Doch dann lichteten sich die Bäume vor uns, gaben den Blick auf den dunklen See frei, den Spielplatz, auf dem Aurora noch vor wenigen Wochen mit gleichaltrigen Kindern weitgesprungen war, das rötliche Dach von Josephines Laden. Bis dahin hatte ich nur darauf geachtet, dass Cara weiterkam, nun fühlte ich, wie meine eigenen Knie vor Anstrengung zitterten. Ich konnte kaum mehr meine Füße heben, geschweige denn, Cara stützen.
    Doch Josephine musste uns gesehen haben, sie war aus dem Laden gestürzt und kam jetzt auf uns zugerannt.
    Die aufgeregten Fragen, mit denen ich gerechnet hatte, blieben aus. Schweigend griff sie nach Cara, ignorierte das zähe, blaue Blut und stützte sie wie ich, um ihr das Gehen zu erleichtern.
    »Aurora … wo ist Aurora?«, rief ich panisch.
    »Es geht ihr gut. Alles ist in Ordnung.«
    Mit letzter Anstrengung brachten wir die letzten Meter hinter uns. Die großen Bäume, die die Straße säumten, schützten uns vor neugierigen Blicken. Und dann hatten wir auch schon den Laden erreicht und wuchteten Cara über die Schwelle. Sie brach gleich dort zusammen, auch ich fiel auf die Knie.
    »Aurora!«, rief ich.
    Josephine schloss eilig hinter uns die Tür ab.
    »Oben!« Sie deutete hinter sich. »Aurora ist oben … «
    Erst jetzt erkannte ich eine kleine Tür hinter der Kasse. Mühsam rappelte ich mich hoch, stürzte auf die Tür zu, riss sie auf. Eine Treppe führte ins obere Stockwerk, wo Josephine offenbar lebte.
    Irgendwie hatte es auch Cara geschafft, wieder aufzustehen, und folgte mir mit Josephines Hilfe. Jede einzelne Stufe ließ sie aufstöhnen, und auch ich glaubte, meine Brust würde vor Anstrengung bersten. Doch alles konnte ich ertragen, solange wir nur in Sicherheit waren. Und dann waren wir endlich oben angekommen, und Aurora stürzte mir entgegen. Ihr Gesicht war blass, die Augen weit aufgerissen, das Haar zerzaust, aber sie war unverletzt und bei Kräften, und das war in diesem Augenblick das Wichtigste.
    Ich zog sie in meine Arme, drückte sie an mich, fühlte, wie sich nicht nur ihr, sondern auch mein Körper entspannte. Sie sagte nichts, stellte keine Fragen, vergrub nur ihren Kopf an meiner Brust.
    Gut … es ging ihr gut …
    Als ich wieder hochblickte, sah ich, dass Josephine gerade dabei war, die Fensterläden zu schließen. Ich begriff nicht, was sie damit bezweckte. Die Ladentür hatte sie abgeschlossen, damit wir ungestört waren – doch warum verrammelte sie alle Fenster? Wusste sie von dem Kampf, der hoch oben am Berg tobte? War es eine Schutzmaßnahme gegen Caspar, von dem Aurora ihr vielleicht erzählt hatte?
    Aurora löste sich von mir und lief zu Cara, die auf den Boden gesunken war, die Augen starr an die Decke gerichtet. Aurora streichelte über ihr

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