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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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vorsichtig, als wäre ich aus Glas! Wie sie es nicht hat fassen können, als ich plötzlich fremde Sprachen sprach! Sie war viel zu feige, mir Fragen zu stellen. Hat einfach die Augen zugemacht, sich blind und taub gestellt … Und Cara wiederum – sie war nicht feige und nicht blind, aber dreist und eitel. Sie hat doch tatsächlich geglaubt, sie könnte mich erziehen. Ha! Ha!«
    Sie lachte kreischend auf, und wie vorhin hielt sie auch jetzt plötzlich inne. Stille senkte sich über uns. Ich konnte aus Bestürzung nichts sagen, Cara, weil sie zu kraftlos war, und Josephine, weil es, wie mir schien, hinter ihrer Stirn fieberhaft arbeitete. Jetzt sah es so aus, als hätte sie die Zweifel, ob Aurora tatsächlich war, wer sie zu sein vorgab, überwunden, und ein ebenso triumphierendes wie irres Leuchten kehrte in ihre Augen zurück.
    »Jetzt verstehe ich, warum Caspar so erpicht auf dich war!«, rief sie kreischend. »Du bist wirklich ein ganz besonderes Kind … nein«, berichtigte sie sich schnell, »eine ganz besondere Nephila. Du wirst zu den … Großen gehören.«
    Ehrfurchtsvoll schlug sie die Augen nieder, zögerte nun nicht länger, das Schwert wieder zu heben, diesmal nicht, um auf Cara einzuschlagen, sondern, um es Aurora zu überreichen. Schon streckte diese ihre Hand aus, wollte es nehmen, doch im letzten Augenblick zuckte sie vor dem Knauf zurück.
    »Noch nicht«, erklärte sie, »noch nicht. Ich muss auf meine Zeit warten.«
    Ich begriff nicht, was sie damit meinte, und noch weniger, warum sie plötzlich zum Fenster stürzte und einen Fensterladen öffnete. Fahles Dämmerlicht fiel in den düstern Raum – ein Zeichen, dass es mittlerweile Abend geworden war.
    Josephine runzelte ihre Stirn. »Dann müssten wir doch viel zu lange warten«, erklärte sie sichtlich enttäuscht.
    »Caspar will es so«, entgegnete Aurora kalt.
    Ich verstand überhaupt nichts mehr – wie sollte ich auch? Mein ganzes Denken kreiste nur um eins: Wo war mein Kind? Was hatten sie mit meiner Aurora gemacht? Woher stammte dieses bösartige Monster, das dort kicherte, kalte Befehle erteilte und voller Abscheu über mich sprach?
    Cara schien indes verstanden zu haben.
    »Die Morgenröte«, murmelte sie. »Sie warten auf die Morgenröte … «

    Die Stunden, die folgten, waren lang und kurz zugleich. Manchmal hatte ich das Gefühl, eine quälende Ewigkeit hier zu hocken. Dann wieder fühlte ich die Hoffnung, ich müsste nur die Augen aufschlagen, nur richtig wach werden, und alles würde sich als ein düsterer Traum herausstellen. Während ich reglos in der Ecke saß, schien der Raum immer enger und kleiner zu werden, die Luft immer stickiger, doch noch enger und schlimmer war der Kerker in meinem Kopf. Fragen kreisten darin so ergebnislos wie Gefangene, die nach Freiheit suchten, aber immer wieder auf kalte, modrige Wände stoßen. Würde mich meine eigene Tochter, die mich regelrecht zu hassen schien, wirklich töten?
    Nicht gleich hatte ich begriffen, warum sie auf die Morgenröte wartete: Das Licht würde sie besonders stark machen, das Monster, das in ihr schlummerte, erst richtig erwecken.
    Das machte mich umso fassungsloser. Diese Stunde, wenn die Nacht weicht und der Tag langsam erwacht, war für mich immer eine besondere gewesen. Die schönsten Momente meines Lebens fielen in diesen Zeitraum: Mein erster Kuss mit Nathan im Morgenlicht, und später Auroras Geburt, als das rötliche Licht genau in dem Augenblick das Zimmer erhellte, als sie ihren ersten Schrei tat. Unmöglich, dass sie mich ausgerechnet dann töten wollte!
    Ich suchte ihren Blick, aber sie wich mir aus. Ich ging auf sie zu, aber sie drehte sich wendig fort. Damals, als sie sich zu verändern begonnen hatte, hatte ich sie gescheut, hatte mich so schwergetan, sie zu berühren, zu umarmen, zu streicheln. Jetzt, wo sie diese bösen Worte gesagt hatte, hatte ich hingegen keine Angst vor ihr. Alles, alles hätte ich getan, um diesen Dämon zu vertreiben, der sich ihres zarten Körpers bemächtigt hatte, diese fremde, abscheuliche Macht, die sich einfach in sie hineingedrängt hatte!
    Nun, wenigstens ihre Hülle wollte ich berühren, sie an mich ziehen, wollte ihre Haare riechen, ihre Haut streicheln, wollte dem Dämon zeigen, dass ich ihn nicht fürchtete, sondern ihn durch Liebe bezwingen würde.
    Aber nachdem ich mehrmals vergebens versucht hatte, sie zu fassen zu kriegen, baute sich Josephine mit dem Schwert vor mir auf. »Bleib ihr fern und rühr sie nicht an!

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