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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Schaum gespuckt. Nun geschah nichts dergleichen. Nicht nur ihr Körper, sondern auch ihr Blick war so starr, als sei sie hypnotisiert worden. Um ihren Mund spielte ein feines Lächeln, aber es wirkte kalt und unnahbar.
    »Was tun Sie hier?«, schrie ich Caspar von Kranichstein an. »Was zum Teufel haben Sie hier verloren?«
    Er hatte sich leicht zu ihr herabgebeugt und richtete sich jetzt langsam, ganz langsam auf. Sein Blick ließ Aurora los. Er hatte die Schwelle zum Wohnzimmer vorhin nicht überschritten, und auch jetzt machte er keine Anstalten, näher zu kommen. Das schwindende Tageslicht ließ sein Gesicht noch dunkler und seine Gestalt noch schmaler wirken.
    »Ich wollte nur nach ihr sehen … «, setzte er an, kaum lauter als ein Raunen. Hastig stellte ich mich vor Aurora und hatte das Gefühl, ihr starrer Blick würde sich in meinen Rücken brennen.
    »Gehen Sie! Gehen Sie einfach! Ich möchte nicht, dass Sie in ihre Nähe kommen, das habe ich doch gesagt!«
    Meine ersten Worte klangen scharf und wutentbrannt – dann brach meine Stimme. Immer noch hielt er Abstand, lächelte. Doch irgendetwas war an ihm, was mich einschüchterte, den Drang auslöste, zurückzuweichen, mich zu ducken, mir die Hände vors Gesicht zu schlagen. Mit aller Macht musste ich mich beherrschen, dem nicht nachzugeben. Was ich nicht verhindern konnte, war, dass meine Wangen glühend rot anliefen. Ein wenig fühlte ich mich wie einst als Klavierstudentin vor den Auftritten – bloßgestellt und ausgeliefert.
    »Gehen Sie jetzt!«, schrie ich.
    »Sophie … « Er sprach meinen Namen mit diesem eigentümlichen Zischen aus. Obwohl er sich weiterhin nicht bewegte, hatte ich das Gefühl, er würde mit seinen langen schmalen Händen über mein Gesicht und meinen Körper streicheln, zwar sachte, aber doch besitzergreifend. »Sophie, ich würde nichts tun, was Ihrer Tochter … schaden könnte.«
    »Was meiner Tochter schadet und was nicht, bestimme ich! Verlassen Sie meinen Garten!« Meine Stimme überschlug sich.
    Sein Lächeln wurde breiter, irgendwie nachsichtig. Mochte ich jetzt noch abweisend sein, schien dieses Lächeln zu sagen – es würde die Zeit noch kommen, in der ich mich von ihm belehren ließe. Angst schnürte meine Kehle zu. Nein, niemals!
    Unendlich langsam trat er zurück, durchschritt meinen Garten und hatte nun endlich das Tor erreicht. Ehe er es mit leisem Quietschen öffnete, drehte er sich immer noch lächelnd ein letztes Mal um, und hob dann die Hand, um zu winken.
    So schnell werdet ihr mich nicht los , ging es mir durch den Kopf – als habe er mit mir gesprochen, ohne dass er die Worte wirklich sagte.
    Sein schwarzer Mantel blähte sich im Wind, er schien schärfer und kälter zu wehen als eben noch. Ich zitterte am ganzen Körper. Rasch schloss ich die Tür zum Garten und beugte mich zu Aurora. Nichts war von meiner Scheu, meinem Unbehagen geblieben, sie zu berühren; ich umfasste ihre Schultern, zog sie fest an mich, schüttelte sie schließlich leicht.
    »Aurora, Aurora ist alles gut?«
    Eine Weile blieb sie unnatürlich steif, dann ging plötzlich ein Ruck durch ihren Körper. Leben kehrte in ihren ausdruckslosen Blick zurück.
    »Was wollte er von dir? Was ist geschehen, bevor ich ins Wohnzimmer gekommen bin?«
    Ich schalt mich innerlich, sie allein gelassen zu haben – dieses kleine, verwirrte Mädchen, das nichts mehr von der Bestimmtheit und der machtvollen Aura, die sie bis vorhin noch umgeben hatte, zu haben schien.
    »Caspar von Kranichstein … was wollte er von dir?«
    Sie schien gar nicht zu wissen, von wem ich redete, und reagierte nicht. Nur der Blauton ihrer Augen änderte sich. Er schien zunächst blasser zu werden, farbloser, verdunkelte sich dann. Eben noch der Farbe eines klaren Gebirgsbaches gleichend, wirkten sie nun wie ein tiefer, kalter See.
    »Du musst keine Angst vor ihm haben«, erklärte ich – viel selbstsicherer, als mir zumute war. »Er wird dir nicht mehr zu nahe kommen. Ich … ich habe es ihm verboten.«
    Sie löste sich aus meinem Griff, ging zum Sofa und nahm eines ihrer Bücher, als wäre nichts geschehen. Erst nach einer Weile hob sie wieder den Kopf.
    »Es wird nichts nützen«, sagte sie. Sie sagte es so, als wäre jedes Gefühl – ob Angst oder Entschlossenheit, Empörung oder Panik – nutzlose Verschwendung. »Es wird nichts nützen. Er wird … er muss wiederkommen.«

    Als es wenig später an der Tür klingelte, war der Schreck, der in meinen Körper fuhr, fast

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