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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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ausführlich von ihrer Arbeit – zur Zeit machte sie ein mehrmonatiges Praktikum in einer Kinderpsychologenpraxis.
    Sämtliche Termine seien dort schon wochenlang im Voraus ausgebucht, was eigentlich ziemlich traurig sei, heiße das doch, dass viele Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder nicht mehr zurechtkämen. Auch wenn sich das schrecklich anhören würde, so sei das für sie natürlich gut, denn so hätte sie immer genug Arbeit, wobei sie in der Woche vor ihrem Urlaub eigentlich gerne etwas weniger zu tun gehabt hätte.
    Während sie sprach, öffnete sie ihre Tasche und zog eine Flasche Weißwein heraus, den sie häufig mitbrachte. Ich stellte ihn in den Kühlschrank.
    Sie sprach wie ein Wasserfall, als sie von einzelnen Fällen aus ihrer Praxis berichtete, ich konnte ihr kaum folgen, aber beruhigte mich langsam. Neles Lebhaftigkeit … Aurora, die sich über den Besuch freute … der Kaffeeduft … all das verhieß Normalität.
    Als ich den Kaffee ins Wohnzimmer trug, blickte sich Nele erstaunt um. »Warum ist es denn hier so dunkel?«
    Ich zuckte nur mit den Schultern und öffnete schnell wieder alle Fensterläden. Die Hysterie, die Caspar von Kranichstein eben noch in mir ausgelöst hatte, erschien mir jetzt fast lächerlich. Schließlich war er nicht gewaltsam in mein Haus eingedrungen, sondern hatte lediglich den Garten betreten. Höflich war das zwar nicht – allerdings auch kein Grund, mich hier zu verbarrikadieren.
    »Wo war ich eben?«, fragte Nele. »Richtig, bei dem kleinen Mädchen, ihren Namen darf ich ja nicht sagen. Es ist noch nicht mal zehn Jahre alt und leidet bereits an einer massiven Dysmorphophobie. Bis jetzt habe ich nur Pubertierende mit solchen Symptomen gesehen.«
    Nele warf gerne mit Fachbegriffen um sich, und meist hakte ich erst gar nicht nach, um mir einen ausufernden Vortrag zu ersparen, aber weil ich bis jetzt noch gar nichts gesagt hatte, fragte ich höflich: »Was ist das?«
    Nele holte Atem und wollte antworten, doch noch ehe sie etwas sagen konnte, erklärte Aurora, die in der Tür stehen geblieben war: »Menschen mit Dysmorphophobie leiden darunter, dass sie sich für außergewöhnlich hässlich halten.«
    Nele ließ ihren Atem lautstark entweichen und fuhr verwundert zu ihr herum: »Woher weißt du das denn, Kleine?«
    Aurora zuckte mit den Schultern.
    »Du hast recht!«, rief Nele. »Diese Menschen sind völlig fixiert – auf ihre Akne, auf einen zu kleinen Busen, auf eine krumme Nase. Können kaum mehr das Leben bewältigen, weil sie sich ständig damit beschäftigen, wie hässlich sie sind. Wie gesagt – bis jetzt habe ich noch nie einen so jungen Patienten gesehen. Ein Drama, echt! Das ist dieser ganze Schönheitswahn aus dem Fernsehen, der die Seelen vergiftet.«
    Nele seufzte.
    »Dysmorphophobie ist nur sehr schwer zu behandeln«, fügte Aurora ernsthaft hinzu. »Ohne längerfristige, psychiatrische Hilfe wird das nicht besser.«
    »Respekt!« Nele nickte anerkennend. »Hast du das irgendwo gelesen?«
    Aurora zuckte wieder mit den Schultern.
    »Vielleicht wächst bei dir ein kleines Genie heran, Sophie … Sophie, was hast du denn, du bist so blass?«
    Ich biss mir auf die Lippen, um nicht laut aufzuschreien. Eben noch war ich voller Hoffnung gewesen, dass der Tag, so verrückt er auch verlaufen war, ganz normal und behaglich zu Ende gehen könnte. Jetzt fühlte ich wieder alles aufsteigen, was mich so zermürbte: Panik, Hysterie, Unbehagen und die Angst vor meinem eigenen Kind.
    »Sophie, was hast du denn?«
    »Nichts.« Ich schüttelte den Kopf und hoffte, dass sie mir nicht ansah, wie sich meine Brust verkrampfte, wie sich mein Magen zusammenzog. »Nichts … mir ist nur gerade etwas eingefallen … ich wollte heute noch einkaufen gehen … aber dann war ich so in die Arbeit versunken, dass ich nicht mehr daran gedacht habe … jetzt, wo du da bist … dann muss Aurora nicht mitkommen … ich könnte schnell los …?«
    Meine Worte wurden immer wirrer.
    »Du willst jetzt einkaufen gehen?«, fragte Nele, sichtlich irritiert, dass ich sie mit Aurora allein lassen wollte, wo sie diese lange Fahrt auf sich genommen hatte, um mich zu sehen.
    Doch ich fühlte mich unfähig, weitere Erklärungen abzugeben. »Ich … ich … komme gleich wieder zurück«, sagte ich hastig und gab ihr keine Zeit zu widersprechen. Ich stürzte in den Flur, schnappte Schlüssel und Handtasche, dann hatte ich bereits das Haus verlassen.
    Wenig später saß ich im Auto und fuhr los.
    Ich hatte

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