Der Kuss des Morgenlichts
hing, eine Ferienwohnung zu mieten, die gerade frei stand. Der Garten war viel kleiner als der der Villa – und viel gepflegter. Der Rasen war frisch gemäht worden, es gab ein kleines Biotop mit Seerosen, und die Thujenhecke war so hoch gewachsen, dass man von den anderen Grundstücken unmöglich in den Garten hineinsehen konnte, jedoch sorgfältig beschnitten.
»Ist es in Ordnung, wenn du hier im Auto wartest? Nur ganz kurz?«
Ich musste Cara unbedingt allein zur Rede stellen.
Aurora nickte, lehnte ihren Kopf zurück und schloss die Augen. Ich stieg aus dem Auto, eilte zur Haustür und läutete Sturm. Der Ärger und die Ohnmacht, die ich mir eben noch mühsam verbissen hatte, stiegen wieder in mir hoch.
Als Cara schließlich öffnete und mich mit grimmigem Gesicht vor sich stehen sah, erblasste sie sichtlich.
»Sophie … «
Grußlos setzte ich an. »Ich halte das nicht mehr aus!«, rief ich eindringlich. »Diese merkwürdigen Andeutungen! Auroras Verhalten! Und nun tauchst du plötzlich auf, obwohl Nele gar nichts gemacht hat, und … «
»Wer ist Nele?«, fragte sie verständnislos.
»Meine Salzburger Freundin!« Meine Stimme zitterte, aber ich kämpfte darum, es mir nicht anmerken zu lassen. »Sie ist Kinderpsychologin. Sie hat mir empfohlen, dass ich jemanden suche, der regelmäßig auf Aurora aufpasst. Ich dachte, sie hätte den Kontakt hergestellt und du wärst nur darum zu mir gekommen, um … «
»Sophie«, Cara trat auf mich zu und legte beruhigend beide Hände auf meine Schultern. »Sophie, können wir vielleicht später darüber sprechen? Morgen?« Ungeduldig machte ich mich von ihr los und drängte mich an ihr vorbei. »Nein, das können wir nicht«, erklärte ich entschlossen. »Nele kennt dich überhaupt nicht. Sie kann also gar nicht … «
»Es war Josephine!«, unterbrach mich Cara hastig. Schon nach wenigen Schritten hatte sie mich eingeholt und stellte sich mir in den Weg. Sie legte wieder ihre Hände auf meine Schultern – diesmal nicht, um mich zu beruhigen, sondern um mich davon abzuhalten, noch einen Schritt zu machen. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie mehrmals unruhige Blicke über ihre Schulter warf.
»Was?«, fragte ich verständnislos.
»Josephine … du weißt schon, die Besitzerin des kleinen Lebensmittelladens … Sie ist eine gute Bekannte von mir, und sie hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass du jemanden für Aurora suchst.«
Verständnislos schüttelte ich den Kopf. Hatte ich bei einem meiner Einkäufe tatsächlich dergleichen erwähnt?
»Ich kann mich nicht daran erinnern … «, murmelte ich, und es klang kleinlaut.
Plötzlich schien die Luft um mich herum immer dünner zu werden und Caras herzförmiges Gesicht immer kleiner. Die Wände des Vorzimmers schienen auf mich zuzukommen. Ein Kribbeln wanderte über meine Arme, zog dann über den Rücken.
Ich kämpfte gegen den Schwindel an.
»Sophie, es ist jetzt wirklich der falsche Moment … «
Ihre Worte verkamen zu einem Rauschen. »Entschuldige … ich muss mich nur kurz setzen … «
Ich machte mich von ihr los und taumelte in die Richtung, in der ich das Wohnzimmer vermutete. Obwohl das Bild vor meinen Augen in viele kleine Sternchen zerstob, erkannte ich, dass der Raum nicht leer war. Da war jemand, und nach ihm hatte Cara sich offenbar mehrmals so nervös umgedreht. Er saß auf einem Drehstuhl, und zunächst konnte ich nur seine Beine sehen.
Der Schwindel ließ nach, dennoch rauschte es weiterhin in meinen Ohren.
Ich fühlte es. Ich fühlte, wer vor mir saß, noch lange bevor er den Stuhl langsam in meine Richtung drehte und sich erhob. Beinahe entschuldigend hob er die Arme.
Mehr als sieben Jahre, nachdem er mich ohne Erklärung verlassen hatte, stand Nathanael Grigori wieder vor mir.
VI .
Ich weiß nicht, wie lange ich dastand und ihn einfach nur anstarrte, völlig reglos, so als würde eine einzige abrupte Bewegung das Bild vor mir zerstören. Keiner von uns schien auch nur zu atmen, geschweige denn zu schlucken, sich zu bewegen.
Cara, die an der Wohnzimmertür stehen geblieben war, löste sich schließlich als Erste; ich hörte nicht, wie sie auf mich zutrat, aber ich spürte, wie sie mich sachte am Arm zupfte. »Sophie … Sophie, lass dir erklären … «
Das Rauschen kehrte wieder, ihre Stimme ging darin unter. Ich war blind und taub für alles um mich herum, konnte nur Nathan anstarren – Nathan, der nun auch seinen Mund öffnete und etwas sagte. Ich konnte es ebenso wenig hören wie
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