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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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schwieg auch dann noch, als wir die Villa betreten hatten. Sie wirkte in sich gekehrt, als sie ihre Kleidung auszog und in ihren Pyjama schlüpfte. Mechanisch half ich ihr dabei. In meinem Ohr echote fortwährend Nathans Stimme, wie er Auroras Namen gesprochen hatte.
    Den Namen unserer Tochter.
    Nein, berichtigte ich mich schnell, Aurora war meine Tochter, nur meine.
    Ich deckte Aurora zu, machte das Licht aus, zog die Tür ihres Kinderzimmers zu. Im Flur blieb ich an die Wand gelehnt stehen.
    Ja, bekräftigte ich mich, ja, es war richtig, ihm zu sagen, dass er uns in Ruhe lassen sollte! Was fiel ihm ein, hier aufzutauchen!
    So entschlossen ich mir das wieder und wieder selbst sagte – instinktiv lauschte ich nach draußen und wartete darauf, dass er nachkommen würde. Doch es blieb still.
    »Gott sei Dank!«, dachte ich trotzig. Schade nur, dass ich ihn nicht noch ein zweites Mal mit harten Worten aus unserem Leben jagen konnte! Eigentlich wollte ich das so gerne tun, wieder und immer wieder! Ihn beschimpfen, ihn verfluchen, ihn anbrüllen, ihm Vorwürfe machen, ihm verbieten, in unsere Nähe zu kommen.
    So mechanisch wie ich Aurora vorhin beim Ausziehen geholfen hatte, machte ich mich schließlich selber für die Nacht fertig. Stundenlang lag ich im Dunklen, verbot mir, an Nathan zu denken und hörte doch immer noch seine Stimme in meinen Ohren. Er hatte heiser geklungen, als er mit mir gesprochen hatte – doch im Rückblick nahm der Tonfall sämtliche Nuancen an: spöttisch, liebevoll, sehnsüchtig, begehrlich, dreist, herrisch, zerknirscht, kühl, freundlich, arrogant, zärtlich, verunsichert. Nicht ein Nathan schien zu mir zu sprechen – sondern viele …
    Ungleich schriller als seine Stimme war der Ton, der mich früh am nächsten Morgen aus einem unruhigen Schlaf riss. Im ersten Moment wusste ich nicht, wo ich war, so tief war ich noch in meinem Traum gefangen. Nathan war darin nicht aufgetaucht, aber ich war wieder die junge angehende Pianistin von einst gewesen, die unter den strengen Augen verschiedener Professoren vorspielen sollte, aber es nicht fertigbrachte. Ich saß vor einem Klavier und konnte die Hände kaum heben, und als ich es mit ungeheurer Kraftanstrengung schließlich doch schaffte, waren meine Finger zu steif, um auch nur eine Taste zu treffen.
    Die Türklingel ertönte erneut. Mit klopfendem Herzen rannte ich zur Haustür und wusste nicht, ob ich befürchten oder mir wünschen sollte, dass es Nathan war, der läutete.
    Doch als ich öffnete, stand Cara vor mir, adrett gekleidet und frisiert wie immer, ein warmes, irgendwie mitfühlendes Lächeln auf den Lippen.
    Ich wollte die Tür sofort wieder zuzuschlagen. Ohne Zweifel war das kindisch, aber ich konnte nicht anders. Doch in dem Augenblick, in dem ich die Tür zudrücken wollte, warf sie sich energisch dagegen und zwängte sich über die Schwelle.
    »Bitte Sophie … «
    Von all den Gefühlen, die in mir tobten, stellte sich der Trotz als am beharrlichsten heraus.
    »Ich will es nicht hören«, sagte ich mit rauer Stimme, »ich will gar nicht wissen, was Nathan Grigori bei dir macht und warum er hier aufgetaucht ist. Am besten, du gehst wieder.«
    »Ich werde Nathans Namen nicht aussprechen«, erwiderte Cara. »Aber ich möchte Aurora sehen.« Ihre Stimme klang sehr entschlossen, doch nicht weniger entschieden stellte ich mich ihr in den Weg.
    »Nein«, sagte ich. »Nein, das möchte ich nicht.«
    Erst jetzt fiel mir mein Telefongespräch mit Nele wieder ein, und dass nicht sie es gewesen war, die Cara Sibelius zu mir geschickt hatte, sondern Josephine. Jetzt wäre die Gelegenheit gewesen, nachzuhaken, doch ich brachte die Kraft nicht auf. Zu vieles war ungeklärt; zu vieles überforderte mich. Ich hatte das Gefühl, dass alle Ängste und sämtliches Unbehagen über mir zusammenbrechen würden, wenn ich nur an eine Sache rührte – wie eine Reihe von Dominosteinen, die in sich zusammenfällt, sobald der erste Stein kippt.
    Cara versuchte nicht, sich an mir vorbeizudrängen, aber sie wich auch keinen Schritt zurück.
    »Ich will nur … «
    »Nein, bitte geh!«
    Ein schriller Schrei ließ mich zusammenzucken, noch lauter als meine erbosten Worte. Ich fuhr herum und sah Aurora mit angstgeweiteten Augen im Flur stehen. So viel Panik hatte das letzte Mal in ihrer Stimme gelegen, als sie am Abend unserer Ankunft den schwarzen Mann gesehen hatte.
    »Sie darf nicht gehen!« Sie schrie nicht länger, sondern flüsterte jetzt.
    »Aber …

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