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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Kälte und Hitze spüren wir kaum. Die meisten Bewegungen kosten uns keine Kraft, und das bedeutet, dass wir neben einem Menschen herlaufen können, ohne zu schwitzen oder ohne unseren Puls in die Höhe zu treiben.«
    Damals … unser abendlicher Spaziergang auf dem Kapuzinerberg … mir war die Puste ausgegangen, und er hatte ganz ruhig neben mir gestanden …
    »Eine andere Abnormität ist, dass unser Blut etwas bläulicher ist.«
    Wieder stiegen Erinnerungen in mir hoch.
    Die blaue Spur im Treppenhaus unseres Hauses … als ich diese seltsamen Geräusche vernommen hatte … die Geräusche, die genau dem Klirren der Schwerter in Caras Garten glichen.
    »Ich verstehe … «
    »Die Schlangensöhne verbreiten Kälte um sich – nicht immer, aber manchmal.«
    Obwohl es im Raum warm war, fröstelte ich unwillkürlich. Ich dachte an das eisig kalte Wohnzimmer unserer Salzburger Wohnung. Welcher der Awwim war dort gewesen? Caspar? Hatte er mich damals schon gekannt? War er es, von dem Nathan sich oft beobachtet gefühlt hatte? Und hatte er später gewusst, dass mit Aurora ein Nephilim-Kind heranwuchs – mit Fähigkeiten, die ihn faszinierten?
    Noch etwas anderes ging mir durch den Kopf. Die Villa … , fiel mir ein, die Villa, in der Aurora und ich nun lebten, hatte einst Caspar gehört. Er hatte sie meinem Vater verkauft.
    Ich fröstelte noch mehr, als ich mir vorstellte, dass die Ereignisse der letzten Woche Folge eines lange ausgeklügelten Plans waren. Um mein Zittern zu unterdrücken, stand ich langsam auf – im gleichen Augenblick, als Nathan sich von der Wand abstieß.
    Sein nackter Oberkörper fiel mir wieder ein, und wie sehr es mich verwirrt hatte, dass er so muskulös wie der eines Leistungssportlers gewesen war. Ich hatte mir damals nicht erklären können, woher er die Zeit für das Training nahm, aber nicht länger darüber nachgedacht. Dieser Körper hatte nur das Verlangen in mir geweckt, ihn zu berühren, ihn zu streicheln, ihn zu halten, mich an ihn zu pressen. Damals galt es nicht, Fragen zu stellen und so vieles zu begreifen, sondern nur, sich dieser Vertrautheit und Nähe hinzugeben, dieser Unbeschwertheit, diesem Gefühl, dass nichts eine Rolle spielte, solange man zusammen war.
    Nathan blieb stocksteif stehen, aber ich überwand den letzten Abstand zu ihm. Ich zögerte, ihn zu berühren, legte dann schließlich doch zögernd meine Hand auf seine Brust, keine zärtliche Geste, eher der Versuch, mit der Berührung noch mehr über das fremde Wesen in vertrauter Gestalt zu erfahren.
    Kurz glaubte ich, nichts zu spüren, weder seinen Atem noch seinen Herzschlag, so als sei er eine Statue ohne Leben. Aber dann war da plötzlich so viel Wärme unter meinen Händen. Ein Schauer überlief seinen Körper, ging auf meinen über. Gefühle keimten in mir auf – abgründige und dunkle, aber auch sehnsuchtsund hoffnungsvolle. Ich wollte ihn loslassen, aber konnte es nicht. Was immer er mir über sich auch erzählt hatte und was ich nun nie wieder aus meinem Gedächtnis streichen konnte – er war doch auch Nathan, mein Nathan, der begnadete Cellist, der mit mir gespielt hatte, der mich zu diesen musikalischen Höhenflügen angetrieben hatte, den ich geliebt hatte wie keinen anderen, der Vater meiner Tochter.
    »Warum hast du mir das alles nicht schon damals erzählt?«, brach es aus mir hervor. »Warum bist du einfach gegangen?« Bis jetzt hatte ich meine Gefühle bezwingen können, doch als ich an seinen Brief dachte … seinen letzten kalten, gefühllosen Brief … füllten sich meine Augen mit Tränen.
    »Caspar war damals in Salzburg«, sagte er heiser. »Er hat dich mir nicht gegönnt, so wie er mir nie eine Auserwählte jemals gegönnt hat oder gönnen wird. Ich habe unterschätzt, mit welcher Inbrunst er unser Glück erst belauert hat und dann verhindern wollte. Nachdem wir uns in Salzburg zufällig begegnet sind – es war noch bevor ich dich traf –, dachte ich, er würde sich von mir fernhalten, mir aus dem Weg gehen, wie wir es fast immer stillschweigend taten, uns jeweils der Kräfte des anderen bewusst. Doch er ist in der Stadt geblieben, ist immer wieder in meiner Nähe aufgetaucht. Er hat mich zwar nicht angegriffen, aber ist uns beharrlich gefolgt. Zunächst glaubte ich noch, ich könnte ihn zurückschlagen … «
    »Er war in meiner Wohnung«, fiel ich ihm ins Wort, »und ich habe euch kämpfen gehört … im Treppenhaus … «
    »Es war das erste Mal seit Jahrzehnten, dass wir uns so gehen

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