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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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ließen. Nicht nur, dass wir die Waffe gegeneinander erhoben – wir taten es an einem öffentlichen Ort. Der Kampf währte nicht lange, wir zogen uns beide bald wieder zurück, anstatt eine Entscheidung herbeizuführen. Aber seit diesem Augenblick wusste ich, dass er nicht aufgeben, dass er mich weiterquälen würde. Und als du schwanger warst, ist mir nur eine Lösung eingefallen: Wenn ich so tun würde, als ob du keinen Wert mehr für mich hättest, dann würde auch er sein Interesse an dir verlieren und würde nie von dem Kind erfahren, das in dir heranwuchs. Ich bin einfach aus Salzburg fortgegangen – und er auch. Was ich nicht wusste, war, dass er das nur zum Schein tat. Er hat mich überlistet und ist wieder zurückgekehrt. Das war nur möglich, weil ich damals vor Kummer fast wahnsinnig geworden bin. Ja, er hat gewusst, dass du ein Kind bekommen würdest. All die Jahre hat er nur darauf gewartet, dass Aurora endlich sieben Jahre alt wird und er Macht über sie ausüben kann.«
    »Warum?« Ich konnte nicht anders, als es wieder und wieder zu fragen, obwohl ich ahnte, dass er sich selbst jahrelang mit dieser Frage gequält hatte. »Warum hast du nicht wenigstens angedeutet … «
    »Weil ich dachte, es wäre zu gefährlich für dich!«, unterbrach er mich verzweifelt.
    »Aber jetzt, jetzt bin ich doch auch in Gefahr!«
    »Und ich verfluche mich dafür. Jeden einzelnen Tag. Ich verfluche mich, und … «
    »Still!«, fiel ich ihm ins Wort. Ich tat noch mehr, um ihn zum Schweigen zu bringen, legte meine Hand auf seinen Mund, spürte die weichen Lippen. Als er nichts mehr sagte, wanderte meine Hand zu seinen Wangen, streichelte darüber. Ich konnte es in seinen Zügen sehen, und noch mehr konnte ich es fühlen, so als gäbe es keine Grenze zwischen seiner Seele und der meinen: Ja, er hatte sich selbst verflucht und gehasst, er hatte sich verloren und getrieben gefühlt, er war vor Sorge um mich und Aurora fast vergangen. Er liebte mich. Er hatte mich immer geliebt.
    »Caspar war mir unheimlich, als er hierherkam«, murmelte ich. »Ich wusste nicht, was ich von ihm zu halten hatte. Diese dürre Gestalt, dieses maskenhafte Gesicht, aber vor allem seine Augen … diese dunklen, abgründigen Augen.«
    »Das ist das Merkmal, was uns am deutlichsten unterscheidet. Die Wächter haben blaue Augen. Die Schlangensöhne schwarze.«
    Ich ließ ihn immer noch nicht los, konnte nicht anders als sein Gesicht zu streicheln, und er zuckte nicht zurück.
    »Aber Cara … du hast gesagt, dass Cara auch eine der Nephilim ist. Und sie hat grüne Augen!«
    »Cara ist ein ganz besonderer Fall, sie unterscheidet sich von unseresgleichen, aber das ist eine lange, komplizierte Geschichte … Ich habe vorher gesagt, dass es fast unmöglich für einen Nephil ist, die Seiten zu wechseln – aber eben nur fast … «
    »Sie gehörte nicht immer zu den Wächtern?«, fragte ich verwirrt.
    »Auch das hat mit Caspar zu tun, aber … « Er schüttelte den Kopf, um anzudeuten, dass er jetzt mit mir nicht darüber reden wollte. Vorsichtig entzog er mir sein Gesicht, trat von mir fort wieder zur Wand hin. »Sophie, ich lebe schon seit langem, aber ich habe mich immer geweigert, mich mit Menschenfrauen einzulassen. Manchmal war ich verliebt, aber in keine so wie in dich. Diese Wochen in Salzburg sind die glücklichsten in all diesen langen 800 Jahren, die ich gelebt … die ich existiert habe. Ich habe mir vormachen können, ich wäre ein Mensch, ein Cellist … ein Mann.«
    Er hob den Blick, wirkte kurz ängstlich.
    »Das glaubst du mir doch, oder? Dass ich dich wirklich geliebt habe, dass ich nicht mit dir gespielt habe, dass ich … «
    Ich wich seiner Frage aus. »Warum bist du jetzt zurückgekommen? Woher hast du gewusst, dass Caspar sich Auroras bemächtigen will?«
    »Cara«, antwortete er. »Cara habe ich mich anvertraut. Und Cara hat nie recht glauben wollen, dass Caspar damals in Salzburg aufgegeben hat. Du hast es nicht bemerkt, aber sie hat schon lange ein Auge auf dich und Aurora, und als sie Caspars Absicht durchschaut hat, hat sie mich hierhergerufen. Aber Sophie … «, er zögerte kurz, »du hast meine Frage noch nicht beantwortet: Glaubst du mir? Dass ich dich damals nur verlassen habe, weil ich dich liebte? So unendlich liebte?«
    Ich konnte eine Weile nicht antworten, meine Kehle war wie zugeschnürt.
    »Vielleicht«, presste ich schließlich mühsam hervor, »vielleicht bist du nur diesem übermächtigen Zwang gefolgt … diesem

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