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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Instinkt … dieser magischen Anziehungskraft, die ich als Auserwählte auf dich ausgeübt habe … Aber kann man das Liebe nennen?«
    Er schüttelte energisch den Kopf. »Ein Zwang war es, dass ich nicht einfach gehen konnte – obwohl es für dich besser gewesen wäre!«
    »Du hast doch gesagt … «
    Er trat wieder auf mich zu, berührte mich zum ersten Mal von sich aus, legte seine Hände an mein Gesicht und fixierte mich mit diesen glühenden blauen Augen.
    »Sophie!« Ich glaubte, mein Kopf müsste unter dem Druck seiner Hände bersten. »Sophie, schau mich an!«
    Als ob ich etwas anderes tun könnte!
    »Sophie, die Gefühle von uns Nephilim sind so viel extremer als die der Menschen, und so viel stärker, und manchmal übernehmen sie die Kontrolle über uns, ob wir wollen oder nicht. Aber Gefühle sind es doch, menschliche Gefühle. Als ich Andrej Lasarew gehört habe, habe ich mich immer danach gesehnt, ihn wieder spielen zu hören. Und als ich dir begegnet bin, habe ich mich danach gesehnt, mit dir zusammen zu sein. Meine Gefühle waren echt … wahr … tief. Die ganze Zeit über. Und sie sind es immer noch.«
    Er ließ mein Gesicht los, doch ich konnte den Druck seiner Hände weiterhin spüren. Das Blau seiner Augen schien noch durchdringender zu werden. Ich konnte es nun am eigenen Körper fühlen, wie es war, sich einer Macht zu beugen, stärker als man selbst, die alle vernünftigen, nüchternen Gedanken außer Kraft setzt, die alles Zermürbende, Verwirrende, Sorgenvolle der Absolutheit eines Bekenntnisses weichen lässt. Ich liebe dich. Du gehörst zu mir.
    »Sophie, du glaubst mir doch?«
    Nathan, mein Nathan, ging es mir wie vorhin durch den Kopf. Ja, was immer er war, was immer er über sich erzählt hatte und womit ich weiterleben musste – er war mein Nathan, den ich geliebt hatte, den ich noch liebte, den ich immer lieben würde.
    Er war wieder zurück zur Wand gewichen. »Sophie … «, flehte er um eine Antwort.
    Ich brachte keine Silbe hervor, doch es gab eine andere Art, ihm zu erwidern – deutlicher als jedes Wort. Unwillkürlich trat ich auf ihn zu, stellte mich auf die Zehenspitzen, hob den Kopf und legte meine Lippen ganz vorsichtig auf seinen geschlossenen Mund. Ich fühlte, wie er erst zurückweichen wollte, doch hinter ihm war die Wand und vor ihm stand ich. Da wehrte er sich nicht länger, erwiderte meine Zärtlichkeit. Es war kein hektischer, keuchender, gieriger Kuss, der Schauer wie Stromschläge durch den Körper jagt, sondern ein zärtlicher, selbstverständlicher, tief vertrauter Beweis von Liebe und Nähe. Ich schenkte ihm meine Lippen, meine Zunge, meine Umarmung vorbehaltlos – für kurze Zeit ganz frei von Unbehagen und Furcht. Ich hatte keine Ahnung, wie es nach diesem Kuss weitergehen würde, was aus uns – Aurora, Nathan und mir – werden würde, wie ich mit all diesem Wissen leben sollte, ohne verrückt zu werden oder zu verzweifeln. Doch inmitten des riesigen Ozeans voller Gefahren, Bedrohungen, offener Fragen gab es eine kleine Insel, auf der wir stehen konnten, nicht für lange, nur für diesen gestohlenen Augenblick, ja, wir konnten stehen, uns umarmen und streicheln und uns küssen. Erinnerungen an unseren ersten Kuss im Morgenlicht erwachten, und ich glaubte förmlich zu spüren, wie der rötliche Schein der aufgehenden Sonne auf uns fiel, noch nicht stark genug, um zu wärmen, jedoch eine hoffnungsvolle Glut, die gnädig nur das Schöne auf der Welt beleuchtet, nicht das Böse und Hässliche. Ich presste mich an ihn, wollte ihn mit jeder Faser meines Körpers spüren, wollte nicht darüber nachdenken, was uns unterschied, sondern was uns vereinte – Liebe, Verlangen, Sehnsucht. Nicht nur die Erinnerung an unseren ersten Kuss wurde lebendig, auch an die gemeinsame Nacht, das Prickeln auf meiner Haut, wo er mich liebkost hatte, sein Beben, als ich mich ihm öffnete, bereit und erwartungsvoll, das Verschmelzen unserer Körper, als wären sie nicht länger zwei, sondern einer – auf dieser Reise in das tiefste Innere, das schließlich einem Knoten gleich in die vielen kleinen Funken eines endlos weiten Sternenhimmels zersprang, dessen Grenzen wir fliegend, schwebend, tanzend erreichten, um dann ermattet zurückzusinken. In den Armen des anderen hatten wir dann gelegen, hatten gefühlt, wie die Wellen der Lust langsam abebbten, aus ihrem kraftvollen Reißen ein neckendes Kitzeln wurde.
    Ich hatte mir verboten, diese Empfindungen heraufzubeschwören. Jetzt

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