Der Kuss des Satyrs
der Blüte im Juni entwickeln sich die Früchte. An einem einzigen Stock können hundert Reben wachsen, aber der Geschmack wird nicht gut, wenn so viele genährt werden müssen. Sie werden ausgedünnt, bis nur noch ungefähr zwei Dutzend Reben pro Stock übrig sind.«
»Habt Ihr schon Anzeichen für die Seuche entdeckt?«, fragte Jane. »Ich habe gehört, wie sich einige beim Empfang bei der Villa d’Este darüber unterhielten.«
»Bisher noch nicht.«
»Wie gefährlich ist es?«
Er zuckte mit den Achseln. »Es hat schon immer Krankheiten und Schwierigkeiten gegeben. Wenn es zu viel regnet, kann es zu Befall durch Mehltau kommen. Wenn das Erdreich zu schwer ist, wachsen die Trauben nicht richtig. Aber darüber brauchen wir uns hier keine Gedanken zu machen.« Er ging in die Hocke und nahm eine Handvoll trockener, vulkanischer Erde und ließ sie durch die Finger rieseln. Schließlich stand er auf und klopfte sich die Hände ab. »Regen, Sonnenschein und das Erdreich entscheiden über die Qualität der Trauben zur Lese.«
»Wann wird gelesen?«
»Wir fangen im September an. Jede Sorte wächst und reift zu einer etwas anderen Zeit, so dass eine nach der anderen gelesen werden kann. Dann wird gepresst. Im Spätherbst setzt schließlich die Fermentierung ein.«
Er deutete auf einen Bereich, wo die Weinstöcke nicht gepflegt waren. Zwischen Wildblumen und Unkraut standen uralte Mühlsteine und kündeten von den Mühen der Arbeiter, die in der Vergangenheit hier geschuftet hatten.
»Diese Weinstöcke sind für Lyons Tiere reserviert. Die kommen aus den Hügeln wie die Heuschrecken, wenn die Trauben reif sind. Es ist sinnlos, sie vollständig von den Reben fernhalten zu wollen, deshalb haben wir gelernt, mit ihnen zu teilen.«
Eine wohlgenährte Katze kam auf sie zu und strich Jane um die Beine. Unter einem abgebrochenen, halbverdorrten Weinstock warf sie sich auf den Boden.
Nicholas sprach weiter. Er hatte eine Rebe angehoben, damit sie sie sich betrachten konnte. »Seht Ihr, wie dieser Zweig nach oben gerichtet ist? Das Gewicht der Trauben wird ihn mit der Zeit nach unten ziehen und …«
Nick bemerkte, dass sie ihm nur mit halbem Ohr zuhörte und ihr Blick immer wieder zu dem halbverdorrten Weinstock dort drüben wanderte. Er entschuldigte sich, um mit einem der Arbeiter zu sprechen. Als er zu ihr zurückkehrte, war alles, wie er es erwartet hatte. Der Weinstock, der eben noch verdorrt war, wuchs nun gesund und stark. Weil sie ihn während seiner kurzen Abwesenheit berührt hatte.
Faszinierend. Sie gab vor, den Wein, der aus den Trauben gewonnen wurde, zu hassen, und doch konnte sie es nicht ertragen, wenn einer der Weinstöcke litt.
Wie weit und wie tief ging ihr Talent mit Pflanzen? Wusste sie es womöglich selbst nicht? Er spürte, dass sie sich ihrer Fähigkeiten schämte. Das war nur allzu verständlich, denn schließlich hatte sie ihr ganzes Leben in der Erdenwelt zugebracht, und dort wurde so etwas nicht geschätzt.
Er lächelte und nahm ihren Arm. Unsicher lächelte sie zurück.
Als sie am Irrgarten vorbeikamen, erinnerte sich Nick daran, wie er sich in seiner Jugend hier die Zeit mit dem Dienstmädchen vertrieben hatte. Zwischen seinen Beinen zuckte es.
Auf den Hügeln um sie herum wuselten Arbeiter wie die Ameisen herum. Es war weder die rechte Zeit noch der rechte Ort, mit seiner Frau zu schlafen. Er zwang sich, an etwas anderes zu denken.
»Ihr interessiert Euch mehr für die Reben, als Ihr zugeben wollt«, sagte er und hob einen überhängenden Zweig des Blauregens an, so dass sie unter die Pergola treten konnten. »Das ist ein gutes Zeichen für unsere gemeinsame Zukunft. Die Wurzeln meiner Familie reichen tief in diesen Boden, in dieses Gewerbe. Unsere Weine schmücken seit Jahrhunderten die Tafeln der Regierenden und Reichen dieser Welt.«
Sie blieb still.
Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Versuche ich gerade zu sehr, Euch von den Verdiensten meiner Vorfahren zu überzeugen?«
»Es liegt nicht an mir, über Eure Verdienste zu urteilen. Intelligenz und der Wille, hart zu arbeiten, sind in Eurer Familie offensichtlich. Beides sind bewundernswerte Eigenschaften.«
»Dann seid Ihr also nicht länger darüber besorgt, dass Ihr einen Trunkenbold geheiratet haben könntet?«
Sie lächelte schüchtern. »Nein, ich bin zufrieden mit meiner Ehe.«
Ihm kam der Gedanke, dass sie selbst wie die Blüte eines Weinstocks war, sich erst nach und nach widerstrebend öffnete und bedacht
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