Der Kuss des Verfemten
er ihn nicht erwartet. Er bemerkte das sarkastische Blitzen in den schwarzen Augen des Fremden.
»So wartet Ihr also auf den Boten?«, fragte de Cazeville abfällig.
»Warum nicht? Er muss hier durch, wenn er zum Herzog will!« Gundram hob den Becher und trank ihn in einem Zug aus.
»Ihr würdet nicht einmal eine Herde wilder Auerochsen bemerken, die durch das Burgtor stürmt«, erwiderte de Cazeville. Seine Augen verschossen schwarze Pfeile, die Gundram ins Mark trafen.
»Wieso? Ist er schon da?«, fragte er verwirrt.
Das Gesicht des Fremden blieb unbeweglich, aber seine Augen verrieten seine vernichtenden Gedanken. Gundrams Gehirn schien die Größe eines Spatzenschisses zu besitzen.
»Ich weiß selbst nicht, warum ich Euch immer wieder Nachhilfe im Denken erteilen muss«, sagte de Cazeville, und sein Ton wurde ausgesprochen beleidigend. Gundrams Griff zu seinem Schwert bedachte er mit einem spöttischen Grinsen. »Ich habe einen Gast mitgebracht, der dringend den Herzog zu sprechen wünscht.«
Überheblich wandte Gundram sich ab und ließ sich einen Becher Wein einschenken.
»Na und? Was geht mich das an?«, fragte er.
Mit wenigen, behenden Schritten war de Cazeville am Tisch und schlug Gundram den Becher aus der Hand. »Hebt Euren trägen Arsch von der Bank, und schert Euch in den Audienzsaal des Palas! Dort setzt Ihr Euch auf den Thron des Herzogs und benutzt ausnahmsweise einmal Euer Gehirn!«, zischte er erbost. In blödem Unverständnis starrte Gundram ihn an. »Aber wieso? Der Herzog ist doch auf der Jagd!«
De Cazeville holte tief Luft, und seine Kinnmuskeln spielten gefährlich. »Eben!«, sagte er nur und packte Gundram mit einer Hand am Wams. Mit einer Kraft, die der Ritter dem schlanken Mann niemals zugetraut hätte, zerrte er ihn hoch und stieß ihn vor sich her zum Ausgang. »Und richtet Eure Kleidung, Ihr seht wie ein Strauchdieb aus!«
Keiner der Männer wagte, Gundram zu Hilfe zu eilen. Wie versteinert blieben sie auf ihren Bänken sitzen und blickten den beiden nach.
*
Folgsam wartete Konstanze in der Nähe der Pferdeställe, so wie ihr der freundliche Mann geheißen hatte. Fast bedauerte sie, dass sie am Morgen ihre Reise fortgesetzt hatten. Sie hatte kaum auf dem Sattel sitzen können und sich die ganze Zeit über an die unglaublichen Wonnen der letzten Nacht erinnert. Ihr Zorn und ihre Trauer über Martins Treulosigkeit waren hinweggeblasen. Vor Glück seufzend hatte sie sich an de Cazevilles Brust gelehnt und seine körperliche Nähe genossen. Er hatte sein ausgeruhtes Pferd zu einer schnelleren Gangart angetrieben, und sie erreichten gegen Mittag die Burg.
»Es geht los!«, rief de Cazeville ihr aufmunternd zu und holte Konstanze aus ihren Träumen zurück. Ein wenig bange blickte sie zu ihm auf.
»Wie benimmt man sich denn vor einem Herzog?«, fragte sie zaghaft.
»Ich werde an deiner Seite sein«, beruhigte er sie und lächelte. Er nahm einfach ihre Hand und führte sie zum Palas. Vor der schweren Eichentür zum Audienzsaal blieb er stehen.
»Warte hier, ich hole dich herein!« Er schlüpfte durch die Tür und warf einen prüfenden Blick auf Gundram. Der hockte wie ein Huhn auf der Stange auf dem Thronsessel und blickte immer noch voll Unverständnis zu de Cazeville. Über dessen Gesicht zog ein hämisches Grinsen.
»Da könnt Ihr gleich einmal üben, wie Ihr später ein Herzogtum regieren wollt«, sagte er sarkastisch. Dann wandte er sich um und öffnete die Tür. Galant nahm er Konstanzes Hand und führte sie in den Saal.
»Verbeugen!«, raunte er ihr zu und drückte sie nach unten. Konstanze ließ sich fast auf den Boden fallen, während de Cazeville seine Verbeugung nur andeutete und Gundram nicht aus den Augen ließ.
»Mein Herzog!«, sagte de Cazeville laut. »Darf ich Euch Konstanze vorstellen?« Er grinste über Gundrams blöde Miene und hoffte, dass er bald seinen Gesichtsausdruck ändern würde. »Sie kommt geradewegs von Eurer Tochter und hat Euch interessante Dinge mitzuteilen.«
»Meiner Tochter?«, fragte Gundram zu allem Überfluss, und de Cazeville befürchtete, seine sonst so übermenschliche Beherrschung zu verlieren. Dieser hirnlose Trottel war es wirklich nicht wert, dass man ihn in seiner Dämlichkeit noch unterstützte. Aber Gundram war ein Krieger, und de Cazeville dachte nicht im Traum daran, sich seine Finger schmutzig zu machen. Die Eroberung des Raubritternests überließ er den Rittern und Soldaten, er würde nur die Feinarbeit
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