Der Kuss des Verfemten
Toten!« Wieder weinte und jammerte sie aus voller Kehle, bis Isabella ihr eine schallende Ohrfeige versetzte.
»Halt den Mund, du hysterische Ziege!«, schrie sie Mathilda an. »Anstatt hier herumzuschreien, sollten wir überlegen, wie wir uns retten können!«
Mathilda starrte die Prinzessin mit offenem Mund an. Noch nie im Leben hatte Isabella sie angeschrien oder gar geschlagen, nicht einmal als kleine Kinder, als sie noch voll von unbeschwertem Entdeckungsdrang in der Burg oder auf den darunterliegenden Wiesen und am Bach gespielt hatten!
»Es gibt keine Rettung für uns!«, widersprach Mathilda und stieß ein lautstarkes Stoßgebet zum Himmel. »Heilige Mutter, erbarme dich unser, und lass uns in das Reich Gottes eingehen, wo wir für immer Ruhe finden werden vor der grausamen Welt und den schrecklichen Menschen, die andere überfallen und töten und ihre Seele dem Teufel verschreiben …«
»Hast du gehört, halt endlich deinen Mund!«, schrie Isabella und schüttelte Mathilda heftig an ihren Kleidern. »Ich will noch lange nicht da hinauf! Wir werden jetzt die toten Soldaten begraben.«
»Was?«, heulte Mathilda auf. »Ich fasse keine Leichen an!« Zitternd stand Isabella auf dem Weg. Ihr Kleid war schlammverkrustet und zerrissen, während Mathilda ängstlich ihren Umhang erhoben hielt, um den Saum nicht zu beschmutzen.
»Ich fasse es nicht«, stammelte die Prinzessin. »Was bist du nur für eine Schwester, die mich am liebsten sterben sehen würde?«
Mathilda fiel Isabella um den Hals. »Ich würde mein Leben für Eures geben, Hoheit«, wimmerte sie.
»Jetzt, wo alles vorbei ist?« Isabella schob Mathilda unsanft von sich. »Reiß dich zusammen, und denke an deine Christenpflicht! Diese tapferen Männer sind für uns gestorben. Das heißt, auch für dich! Du musst sie begraben!«
»Reicht es nicht, wenn ich für sie bete?«
»Nein! Und jetzt fass mit an, bevor ich ganz die Beherrschung verliere!«
Widerwillig half Mathilda, die toten Soldaten zusammenzutragen. Begraben konnten sie sie nicht, weil ihnen dazu die notwendigen Schaufeln fehlten, doch sie konnten sie wenigstens zu einer Sumpfstelle unweit des Weges schleifen, wo sie die armen Männer der Erde übergaben. Doch einer der Soldaten hatte überlebt. Stöhnend wälzte er sich im Schlamm.
Isabella sprach beruhigend auf ihn ein und besah sich seine Wunden. Er hatte eine tiefe, aber nicht lebensgefährliche Stichwunde in der Schulter und einen Hieb am Oberarm.
»Geh, Mathilda, suche im Wagen, ob du irgendwo Nähzeug findest, damit ich seine Wunde nähen kann, und einige Stoffe oder Kleider, um ihn zu verbinden. Und wir brauchen Wasser für ihn.« Sie half dem Unglücklichen, sich an einen Baumstamm anzulehnen. »Ihr seid ein Engel, Hoheit«, flüsterte der entkräftete Soldat. »Jeder andere hätte mich sterben lassen.«
»Ihr dürft nicht sprechen«, erwiderte Isabella. »Schont Eure Kräfte!«
»Pferde«, ächzte der Soldat. »Ihr müsst die Pferde suchen. Ohne Pferde werden wir nicht überleben.«
Isabella blickte sich um. »Pferde? Sie haben unsere Pferde mitgenommen!« Erst jetzt fiel ihr das Entsetzliche auf! Sie waren verloren, wenn sie keine Pferde finden würden! Doch sie gab sich keinen Illusionen hin. Die Räuber hatten nichts Wertvolles in ihrem Wagen gefunden. Das Wertvollste waren die Pferde!
Endlich kam Mathilda zurück. Sie trug lediglich einen Wasserkrug in der Hand und hob die Schultern. »Sie haben alles mitgenommen, auch den Reisekorb mit den Stoffen und Garnen.«
»Diese Bestien!« Zorn flammte in Isabella auf. Doch dann blickte sie auf den armen Soldaten, der tapfer seine Schmerzen ertrug. Kurz entschlossen hob Isabella den Rock ihres Gewandes und riss ihr Unterkleid in lange Streifen.
»Was macht Ihr da, Hoheit?«, fragte Mathilda entsetzt.
»Ich rate dir, das Gleiche zu tun!«, erboste sich Isabella. »Der Ärmste benötigt Verbandsmaterial. Auf seinen Wunden sind die Stoffe wichtiger als an unseren Körpern!«
Seufzend und mit tadelndem Blick zerriss auch Mathilda ihr Unterkleid. Damit konnte Isabella den Soldaten leidlich verbinden. Sie setzte ihm den Krug an die Lippen. Gierig trank er das abgestandene Wasser.
»Du bleibst bei ihm und passt auf, dass er nicht ohnmächtig wird. Ich schaue mich um, ob ich die Pferde finde.«
»Ich soll hier mit ihm allein bleiben?«, fragte Mathilda entsetzt und blickte ängstlich auf den Soldaten.
»Hast du mich nicht verstanden? Er wird dir garantiert nichts tun. Wir
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