Der Kuss des Verfemten
beide blieben an der Wegbiegung stehen.
Isabella erwartete, dass die beiden Ritter nun, da der Kampf vorbei war, ihre Visiere öffnen und sich vorstellen würden. Sie suchte nach dem Wappen der Ritter, das ihre Identität auswies. Doch seltsamerweise trugen sie kein Zeichen, kein Wappen, keine Farbe auf dem Gewand. Nichts verriet die Herkunft der beiden Retter.
Eine schreckliche Ahnung stieg in ihr auf, und sie umklammerte den Griff des Schwertes fester. Kampflos würde sie diesen Räubern jedenfalls nicht in die Hände fallen.
»Schaut lieber nach, was in den Kisten ist«, vernahm sie die Stimme des Ritters auf dem Pferd, die wegen des heruntergeklappten Visiers ein wenig blechern Klang. In seiner rechten Hand trug er das gezogene zweischneidige Langschwert. Entsetzt bemerkte Isabella, dass Blut daran klebte. Der Ritter blieb ruhig auf seinem dunklen Pferd sitzen, das eine einfache, graubraune Decke trug.
Der zweite, groß gewachsene Ritter trug eine ähnliche Tracht. Über dem Kettenhemd lag ein einfacher Waffenrock von graugrüner Farbe, ebenfalls in der Taille gegürtet. Sein Schwert steckte im Gürtel. An der rechten Seite trug er zusätzlich einen Langdolch. Sein Kopf wurde von einem leicht konischen Helm geschützt, dessen Augenvisier geschlossen war. Er trug kein Zimier am Helm, sodass auch seine Identität nicht festzustellen war.
Isabella schluckte schwer. Sie waren in die Hände von Raubrittern geraten!
»Wer wagt es, mir den Weg zu verstellen?«, rief Isabella und bemühte sich, ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen. »Ich bin die Tochter des Herzogs!«
»Ich bitte Euch, Isabella, haltet den Mund!«, hörte sie hinter sich Mathildas weinerliche Stimme. In dem Augenblick, als sich die Gestalten von Isabella zurückgezogen hatten, um die Kisten zu durchwühlen, war sie zu ihr geeilt und hatte sich hinter ihrem Rücken versteckt.
»Wieso?«, entgegnete Isabella laut. »Damit sie gleich wissen, mit wem sie es zu tun haben, denn das wird ihre letzte niederträchtige Tat sein!«
Sie erntete schallendes Gelächter, sowohl von den beiden Rittern als auch von der zerlumpten Meute um sie herum. Mathilda krallte sich an Isabellas Schultern fest und schlotterte am ganzen Körper.
»Nimm den Mund nicht zu voll, kleine Wildkatze«, bemerkte der Ritter, der jetzt langsam auf sie zuschritt.
»Keinen Schritt weiter, oder ich zerlege Euch wie einen gebratenen Kapaun!«, rief Isabella, und wieder lachten die Umstehenden.
»Mutig ist sie ja, das muss man ihr lassen.« Der Ritter kam unbeirrt näher, und Isabella hob drohend das Schwert.
»Bleibt stehen!«, zischte sie.
»Da sind nur Stoffe drin, Altardecken und Obst und Wein und Gebäck«, sagte eine der finsteren Gestalten und trat vor den Ritter. Ratlos hielt er einige Frauengewänder hoch.
»Kein Schmuck, kein Geld? Wo Frauen sind, muss auch Schmuck sein!«, rief der Ritter. »Sucht weiter, vielleicht haben sie ihn versteckt.«
Isabella verzog die Mundwinkel. »Da könnt Ihr lange suchen«, sagte sie fast belustigt. »Wir kommen geradewegs aus einem Kloster, da trägt man keinen Schmuck.«
Der Ritter stutzte. »Ihr seid Nonnen?«, fragte er verwirrt.
»Ja!«, rief Mathilda.
»Nein!«, rief Isabella.
Mathilda knuffte sie in den Rücken. »Um Gottes willen, Isabella, verratet nicht Eure wahre Herkunft!«, zischte sie ihr ins Ohr. »Sie werden uns als Geiseln nehmen, um von Eurem Vater Lösegeld zu erpressen. Das heißt, sicher nur Euch, denn ich bin ihnen nichts wert. Mich werden sie wohl gleich erstechen oder enthaupten.«
»Unsinn! Sie haben bestimmt Angst vor meinem Vater. Er wird sie mit seinen Soldaten aufstöbern und zur Strecke bringen. Er duldet keine Wegelagerer, Räuber, Mörder in seinem Reich.«
»Wie Nonnen sehen sie aber nicht aus«, sagte der Ritter auf dem Pferd. »Doch sie tragen schlichte Kleidung. Etwas seltsam ist es schon, dass zwei so junge – und reizende – Damen allein reisen.« Eine heftige Röte überzog Isabellas Wangen. Noch nie hatte ein Mann ihr ein Kompliment gemacht. Und der erste Mann in ihrem Leben, der so etwas sagte, war ein Raubritter! Drohend bewegte sie die Spitze des Schwertes hin und her.
»Dann haben sie etwas zu verbergen, wenn sie sich bewusst einfach kleiden. Unauffällig wollen sie sein. Was trägst du da an deinem Hals?«
Der Ritter streckte den Arm nach dem Amulett des heiligen Martin aus, das Isabella noch vom Beten über ihrem Gewand trug.
»Finger weg, das ist mein Schutzheiliger, der heilige
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