Der Kuss des Verfemten
von Ebersgrün!«
Martin trat vor jeden der angesprochenen Ritter und blickte ihnen fest in die Augen. »Schwört hier vor Gott, dass ich kein Mörder bin!«
Zögernd trat Eberhard von Waldenburg aus der Reihe vor den Altar. Mit ernstem Gesicht blickte er den Herzog an, dann beugte er ein Knie. »Ich, Ritter Eberhard von Waldenburg, bezeuge, dass Ritter Martin von Treytnar nichts mit dem Tod des Kaiser zu tun hatte. Ich schwöre es im Angesicht Gottes!«
Jetzt trat auch Ritter Albrecht von Meißen herbei und beugte das Knie und nach ihm die anderen fünf angesprochenen Ritter.
»Lüge!«, brüllte Gundram. »Alles Lüge!«
Empört wandten sich die Ritter zu ihm um. »Wir haben im Beisein Gottes geschworen! Wie könnt Ihr uns der Lüge bezichtigen!«
Der Bischof blickte den Herzog an und erwartete eine Entscheidung. Doch dessen Augen irrten verwirrt zwischen Gundram, Martin und den Rittern umher.
»Mein Herzog!«, rief Gundram mit sich überschlagender Stimme. »Ich habe Euch in all den Jahren treue Dienste geleistet, ohne dass Ihr einen Fehl an mir entdecken konntet. Ich habe mich Eures Vertrauens stets würdig erwiesen und nicht zuletzt Eure Tochter aus den Klauen dieses Raubritters befreit! Werft diesen Verbrecher in den Kerker, und lasst uns endlich die Trauung vollziehen!«
»Nein!«, erklang Isabellas helle Stimme. »Solange die Vorwürfe nicht aus der Welt geschaffen sind, werde ich Gundram von Oxensal nicht ehelichen. Soll er beweisen, dass seine Behauptungen wahr sind! Immerhin steht sein Wort nicht nur gegen das von Martin, sondern auch gegen das von sieben untadeligen Kreuzrittern!«
Der Herzog trat einen Schritt vor. »So sei es! Wir begeben uns alle in den Rittersaal, wo es eine Gerichtsverhandlung geben wird. Beide Parteien sollen ihre Anschuldigungen vortragen!«
Martin blieb entschlossen stehen. »Ich gehe nicht aus der Kirche heraus!«, rief er.
»Ich gebe Euch mein Wort als Landesherr, dass Euch nichts geschehen wird!«, erwiderte der Herzog.
Als Martin immer noch zögerte, trat der Bischof vor. »Ich werde für Eure Sicherheit bürgen«, sagte er und stellte sich an Martins Seite.
Auf der Empore steckte Rupert de Cazeville seine kleine Armbrust zurück unter den Umhang. Er schüttelte fast unmerklich den Kopf, und seine Lippen pressten sich zu einem Strich zusammen. Seine stoische Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Doch auch diesmal konnte er sich von einem Augenblick zum anderen auf die veränderte Situation einstellen. In dem allgemeinen Aufruhr verschwand er unbemerkt aus der Kirche.
*
Die Gesichter aller Heiligen, deren goldene Bilder aus den dunklen Holzkassetten der Täfelung des Rittersaales leuchteten, schienen sich auf die beiden Streitparteien zu richten, die in sicherem Abstand voneinander vor der herzöglichen Empore Aufstellung genommen hatten. An der Wand saßen die Ritter des Rates unter ihren Fahnen und Wappen und folgten der Verhandlung mit gespannter Aufmerksamkeit. Daneben standen die sieben Kreuzritter, die für Martin gesprochen hatten, als Zeugen. Der Bischof stand neben dem Sessel des Herzogs. Isabella saß auf dem Hocker zu Füßen ihres Vaters. Immer noch in das prachtvolle Hochzeitskleid gewandet, blickte sie auf ihren ungeliebten Bräutigam herab, der mit zornesrotem Kopf zu Martin hinüberstarrte. Es war eine irrwitzige Situation, die Isabella wie ein Alptraum vorkam. Da stand der Mann, den sie liebte, den sie aber nicht heiraten konnte, und dort stand der Mann, den sie heiraten sollte, den sie aber nicht liebte.
Die Wachsoldaten hielten die sich neugierig drängende Zuschauermenge in gebührendem Abstand. Gundrams Prunkrüstung glänzte, und er scharrte stolz wie ein wilder Stier mit den Füßen auf den Steinplatten des Fußbodens herum.
Martin dagegen trug einen schäbigen Kittel aus brauner Wolle mit einem zerlöcherten Kettenhemd darüber. Selbst seine Stiefel waren zerfetzt. In seinem Gesicht erkannte Isabella mit Erschrecken zahlreiche schlecht verheilte Brandwunden, und er trug sein Haar kürzer. Er wirkte kränklich und schwach. Gegensätzlicher als diese beiden Männer konnten zwei Menschen nicht sein.
Ein heißes Mitleid durchströmte Isabella. Doch Martins Stolz und sein Mut schienen ungebrochen, wilde Entschlossenheit loderte in seinen Augen.
Der Herzog beugte sich zu Isabella herunter. An seinen gerunzelten Brauen sah sie seinen Unwillen.
»Ich mache mich wirklich lächerlich«, knurrte er. »Erst verurteile ich Martin von
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