Der Kuss des Verfemten
für ihn sprechen würden.«
»So ein Wahnsinn!«, begehrte Isabella auf. »Sobald er sich zu erkennen gibt, werden ihn die Soldaten meines Vaters gefangen nehmen!«
Mathilda schüttelte den Kopf. »Nicht in der Kirche!«
»In der Kirche?«
»Er wird sich in der Kirche zu erkennen geben, unmittelbar vor eurer Trauung! In der Kirche darf er nicht gefangen genommen werden, denn es ist heiliger Boden.«
»Das ist tollkühn!«
Mathilda lachte leise. »Hast du etwas anderes von ihm erwartet?«
»Nein, er ist ein Teufelskerl!« Isabella lehnte sich in die Kissen zurück und seufzte. »Ach, wenn ich ihn nur in die Arme nehmen könnte, seine Lippen küssen, ihm sagen, wie sehr ich ihn liebe! Ich war so schrecklich zu ihm, so hochmütig und böse! Du glaubst gar nicht, wie sehr ich das alles bereut habe. Aber ich glaubte, es sei alles zu spät, und ich müsse nun für meinen Stolz büßen.«
Mathilda ergriff Isabellas Hände. »Er weiß, dass du ihn liebst. Deshalb wagt er ja das Unmögliche. Du wirst ihn nicht zurückweisen.«
»Wie könnte ich!«
»Und nun lass eine strahlende Braut aus dir machen! Du willst doch Martins Augen und sein Herz erfreuen?«
»Und wie ich das will!« Isabella sprang aus dem Bett und rief nach ihren Zofen.
»Ich verschwinde wieder, aber ich bin ganz in deiner Nähe«, sagte Mathilda und zog sich ihren Schleier über den Kopf. »Und kein Wort, zu niemandem!«, warnte sie nochmals und legte den Zeigefinger über ihre Lippen. Die Mädchen nickten ihr verschwörerisch zu. Dann verließ Mathilda das Gemach.
»Bringt kaltes Wasser, damit ich meine Augen kühlen kann!«, rief Isabella. »Ich muss ja zum Fürchten aussehen! So kann ich meinem zukünftigen Gatten doch nicht unter die Augen treten!«
*
Sonnenlicht fiel durch das runde Fenster an der östlichen Seite der Kapelle und brach sich in den bunten Facetten des Glases. Fast schien es vermessen, dass die kleine Kirche einer Burg ein, wenn auch im bescheidenen Maßstab, rundes Rosenfenster besaß wie der Dom zu Worms. Trotzdem gab es dort diesem erhabenen Augenblick Würde. Die bunten Farbtupfer aus Rubin und Violett, Kobalt und Gold zitterten über den Steinboden der Kirche und tauchten die heilige Halle in einen fast überirdischen Glanz.
Beidseits des Ganges erhoben sich die Versammelten aus ihren Bankreihen und wandten sich um, als Gundram feierlich gemessen, gekleidet in seine Prunkrüstung, flankiert von seinen Getreuen, die ebenfalls ihre Prunkrüstungen trugen, zum Altar schritt. Der Bischof höchstpersönlich sollte die Trauung vornehmen, und er erwartete das Brautpaar in würdevoller Haltung. Auch wenn er als Kirchenmann die Art und Weise missbilligte, wie Gundram an Isabellas Hand gelangt war, so konnte er sich dem Willen des Herzogs doch nicht entgegensetzen. Alte Traditionen ließen sich nur schwer ausrotten. Außerdem war ein Nachfolger für das Herzogtum dringend notwendig, wie der Bischof nach einem Blick auf den Herzog festgestellt hatte. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Hauptpersonen dieser Feierlichkeit zu.
Gundram schritt erwartungsvoll zwischen dem Spalier seiner Männer hindurch und blieb vor dem Bischof stehen, dann wandte er sich um. Die Kirchentür stand weit offen, und das Sonnenlicht zeichnete ein goldenes Rechteck durch das Dämmerlicht auf den Boden. Die Strahlen flirrten unruhig, und zwei Gestalten wurden sichtbar. Der Herzog führte Isabella an seiner Hand. Auf der Schwelle verhielten sie für einen Augenblick. Engelsgleich stand Isabella da, die Sonne ließ ihr goldenes Haar wie einen Heiligenschein leuchten. Ihr Gesicht lag im Schatten, und niemand konnte ihre Miene erkennen, doch ihre Erscheinung löste ein Raunen und Murmeln unter den Anwesenden aus. Selbst der hartgesottene Gundram konnte sich dem Zauber nicht entziehen und starrte ihr mit angehaltenem Atem entgegen.
Nervös irrten Isabellas Augen über die in der Kirche Versammelten, doch sie konnte weder Martin noch Rudolf oder die Knappen entdecken. Was, wenn der wohldurchdachte Plan schiefging? Wenn sie nur eine Minute zu spät kämen? Sie wäre unweigerlich Gundrams Frau!
Am liebsten wäre sie auf der Schwelle stehen geblieben, doch der Herzog bewegte sich und schritt langsam und gemessen den Gang entlang, wo Blumenmädchen duftende Rosenblätter ausstreuten. Ein Fanfarenstoß verkündete die Anwesenheit der herzoglichen Familie in der Kirche. Isabella schritt ebenso hoheitsvoll, mit erhobenem Kopf und würdevoller Miene neben ihrem
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