Der Kuss des Verfemten
die tosende Gischt über ihm zusammenschlug. Obwohl er sich inmitten des gurgelnden und schwellenden Wasserfalles befand, verspürte er keine Atemnot. Eine kräftige Hand schien ihn zu halten und zu führen.
Er spürte Hände auf seinem Körper, streichelnde, massierende Hände, Berührungen, bei denen Energie in seinen Körper zu fließen schien. Er hörte sich leise seufzen und nach weiteren Berührungen verlangen. Alles in ihm strebte diesen Händen zu, die ihm diese überwältigenden Empfindungen schenkten. Dann zerflossen die streichelnden, liebkosenden Hände zu Wasser, perlten über seine Haut, glitten von ihm ab.
Vor sich erblickte er eine Insel mit Bäumen, an denen reife Äpfel hingen. Unter den Bäumen saß eine lichtweiße Gestalt mit langem, blondem Haar. Als sie sich umwandte, erkannte er Isabellas Gesicht. Sie lächelte und hielt ihm in ihrer ausgestreckten Hand einen rotbäckigen Apfel entgegen. Seine Sinne waren geschärft, und fast überdeutlich verspürte er den aromatischen Duft des Apfels. Tief sog er die Luft ein und füllte seinen Lungen mit dem Aroma. Er spürte eine unbändige Kraft durch seine Glieder strömen.
»Isabella«, hauchte er, doch seine Stimme wollte ihm nicht gehorchen. Sehnsuchtsvoll streckte er die Arme nach ihr aus. Sie schaute traurig mit ihren blauen Augen auf ihn herab. Immer wieder verschleierte die spritzende Wassergischt seinen Blick auf die Geliebte. Und dann verdunkelten sich ihre Augen, Schatten legten sich über ihr Gesicht, ihre helle Haut bräunte sich, und es war nicht mehr Isabellas Gesicht, sondern das des Zauberers. Dessen Augen versenkten sich tief in Martins Blick, und sein Wille schwemmte mit dem Wasser davon, getragen von der fremden Kraft, die aus dem Geist dieses Mannes entsprang.
Gefesselt von seinem steinharten Willen ergab sich Martin diesem fremden Mann, der ihn durch eine andere Welt führte, die er zwar real mit seinen Sinnen erfasste und die doch nur in seiner Vorstellung zu existieren schien. Er folgte dem Schwarzgekleideten, der wieder Martins Hand ergriffen hatte und sorgsam darauf achtete, dass sie sich nicht verloren.
Es war ein weiter Weg, den sie gingen. Doch statt schwächer zu werden, schien Martins Körper Kräfte zu sammeln, die seine Adern durchströmten. Immer leichter fiel es ihm, dem Fremden zu folgen. Sein durchdringender, zwingender Blick war wie das Leuchten eines Feuers, das ihm den Weg zeigte.
Am Ende dieses Weges sank er in ein wohliges, weiches Tuch, das ihn umhüllte und ihm Wärme und Geborgenheit gab.
Martin erwachte aus einem tiefen Schlaf. Es dauerte geraume Zeit, bis seine Sinne sich so weit gesammelt hatten, dass sein Bewusstsein anfing zu arbeiten. Er sah sich in der kahlen Kammer liegen, eingehüllt in ein weißes Tuch. Sein Blick fiel auf den Mann, der ihn in seinen Träumen begleitet hatte. Für einen Augenblick zuckte Martin zusammen. Dieser schwarze Mann war kein Traum, er war Realität. Er hockte neben Martin auf dem Boden, wieder in sein dunkles Gewand gekleidet. Lediglich seinen Umhang hatte er auf dem Boden ausgebreitet und offensichtlich darauf geruht. Als Martin erwachte, erhob sich der Fremde. Seine scharfen Augen beobachteten Martin, wie ein Raubvogel seine Beute verfolgt. Dann glomm ein zufriedenes Funkeln darin auf. Jetzt bemerkte Martin einen leichten Zug von Müdigkeit in seinem Gesicht. Er nickte Martin zu, er solle sich erheben.
Vorsichtig, fast ängstlich schlug Martin das ihn umhüllende Laken zurück. Fassungslos und verblüfft starrte er auf seinen Körper, dann auf seine Hand. Die Brandwunden waren verschwunden, nur zartrosa Flecken wie die von regendurchtränkten Rosenblättern erinnerten noch daran, dass an diesen Stellen Wunden gewesen waren. Er hob seine Hand, doch auch hier konnte er außer einer kaum sichtbaren Rötung mit einem hellen Rand keine Wunde entdecken. Der Schwerthieb an seinem Arm war zu einem dünnen Strich verheilt, kaum stärker als der Faden von Stickgarn.
Martin suchte die Augen des Fremden, der sich jetzt neben ihn gehockt hatte und sich mit einem spöttischen Lächeln auf seinen Lippen an Martins grenzenloser Überraschung weidete.
»Wie … wie habt Ihr das gemacht?«, fand Martin nach geraumer Zeit seine Sprache wieder.
De Cazeville wich Martins Blick nicht aus. »Gezaubert«, erwiderte er. Dann wurde sein Gesicht wieder ernst. »Ihr wart mit mir da drüben, in der Anderen Welt. Ihr habt sie gesehen, seid durch sie hindurchgegangen und habt die Kraft der
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