Der Kuss des Verfemten
wichtig!«
Martin schwankte bereits bedenklich, aber er riss sich zusammen und schlürfte auch die zweite Schale Tee, die sehr bitter schmeckte. Dann umfing ihn eine warme Dunkelheit, und er entglitt in Morpheus’ Arme.
De Cazeville begutachtete ausgiebig Martins Wunden. Der Hieb am Arm hatte sich entzündet und klaffte auseinander. Brandblasen waren über den ganzen Körper verstreut. Der Pfeildurchschuss an der Hand eiterte, die Finger waren angeschwollen.
Sein Gesicht war jetzt konzentriert, seinen Augen entging keine Nebensächlichkeit. Dann begann er mit der Zubereitung einer Kräuterpaste. Er nahm sich dazu viel Zeit und murmelte ständig Worte in einer fremden Sprache. Zuletzt legte er seinen Dolch in den kochenden Absud. Er verbrachte wieder eine geraume Zeit mit Gebeten, während er ab und zu einige Scheite Holz nachlegte. Dann nahm er den Dolch und beugte sich zu Martin herab.
Vor der Tür lauschten noch einige Unentwegte und hofften, irgendwelche Gespräche, Worte oder Geräusche zu vernehmen, doch sie wurden enttäuscht. Hinter der Tür blieb es still.
De Cazevilles schöne, schlanke Hände, die gleichwohl töten und heilen, lieben und strafen konnten, begannen mit ihrer Arbeit.
*
Martin sah sich durch einen sommerlichen Wald reiten. Die gewaltigen hohen Bäume bildeten eine grüne Kathedrale, durch deren Blätterdach die Sonne schräge, goldene Strahlen schickte.
Die verzweigten Arkaden der Äste formten luftige Wölbungen, durchdrungen von dem Geist der Schöpfung. Der weiche Waldboden dampfte. Kleine Nebelgebilde tanzten vor den Hufen des Pferdes, das lautlos über den Boden schritt und dessen kaum sichtbare Eindrücke der Waldboden sofort wieder ausglich. Es war, als wäre eine schwerelose Gestalt darübergegangen. Martin lehnte sich im Sattel zurück und lenkte seinen Blick hinauf in das grüne Blätterdach. Die Sonne funkelte und blendete ihn. Er kniff die Augenlider zusammen. Durch seine Wimpern hindurch sah er bunte Vögel auffliegen, vernahm das kehlige Gurren von Ringeltauben. Irgendwo in der Ferne murmelte ein Bach. Tropfen glitzerten auf den breiten Fächern der Farnwedel. Ein intensiver Duft nach Erde, Moos und Pilzen stieg in seine Nase, und er atmete tief ein. Er spürte den Geschmack von seltsamen Kräutern auf seiner Zunge. Etwas Feuchtes benetzte seine Lippen.
Er lenkte die Schritte seines Pferdes tiefer in den Wald hinein. Das Murmeln des Baches verstärkte sich, schwoll zum Rauschen eines nahen Wasserfalls an. Die Dunkelheit des Waldes umschloss ihn.
Vor sich sah er einen Berg aufragen aus dunklem Schiefergestein. Wasser floss über die glatten Flächen und verlieh ihm einen seidigen Glanz. Am Fuß des Berges öffnete sich eine Höhle. Martin glitt vom Pferderücken. Wie unter Zwang betrat er den Zugang in die Welt aus Stein. Er verspürte keine Angst, so als wüsste er, was ihn im Inneren erwartete. Der Raum im Gestein weitete sich zu einer unfassbaren Form, deren Grenzen durch die unvollkommene Wahrnehmungsfähigkeit der Sinne verwischt wurde.
Im Schatten in der Tiefe des Raumes erblickte er einen noch dunkleren Schatten, der allmählich menschliche Gestalt annahm. Gänzlich in schwarzes Leder und Tuch gekleidet, trat der fremde Magier auf ihn zu. Sein schmales Gesicht war ernst, fast maskenhaft reglos. Nur seine Augen, von der Schwärze des umgebenden Gesteins, loderten wie die Glut der Kohle. Er streckte die Hände nach Martin aus und vollführte eine einladende Handbewegung. Martin streckte seine Arme vor und ergriff die dargebotenen Hände des Fremden. Ein dumpfer Schmerz durchfuhr seine Hand, die der Pfeil durchbohrt hatte. Der Fremde lächelte und strich mit seinen schlanken Fingern in einer anmutigen Bewegung darüber. Verblüfft stellte Martin fest, dass die Wunde verschwunden war.
Doch der Fremde lenkte seine Aufmerksamkeit auf die schwarze Tiefe der Höhle und zog ihn mit sanfter Gewalt mit sich. Martin folgte ihm willenlos.
Immer tiefer führte er ihn in die Dunkelheit, bis sich plötzlich vor ihm ein weißes Licht zu einer Kugel formte, sich ausdehnte und den ganzen Äther durchdrang. Martin blickte sich um. Wieder sah er Bäume, gewaltig hoch und in würdevoller Stille. Ein Bach querte vor ihnen den Weg. Der Magier führte ihn in das Wasser hinein, das tiefer wurde und ihn mit seiner Strömung fortnahm. Sein Körper wurde leicht, getragen durch die Klarheit des Elements. Das Plätschern und Rauschen schwoll an, er streckte Hilfe suchend die Hände aus, als
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