Der Kuss des Verfemten
leise.
»Was gemacht?«, fragte Martin irritiert.
»Wie hat der Fremde das gemacht, dass deine Wunden so schnell verheilt sind?«
Martin hob ratlos die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Das weißt du nicht? Aber du musst es doch gesehen haben?« Isabellas Augen wurden kugelrund.
Martin schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe nichts gesehen.« Sie schritten weiter Seite an Seite dem Ausgang zu.
»Das ist unmöglich!« Isabellas Hand fuhr verwirrt durchs Haar. »Du musst doch etwas gespürt haben?«
»Ja, allerdings. Es war wunderschön!« Martins Augen verklärten sich bei der Erinnerung an seinen Ritt durch den grünen Wald, an die Insel der Apfelbäume, an das Bad in dem glasklaren Fluss – und an das überwältigende Gefühl der ihn berührenden Hände.
»Schön? Hat er dich verhext?«
Martin lachte auf. »Nein, ganz bestimmt nicht. Er hat mich einfach – geheilt!«
Isabella schüttelte immer noch den Kopf und suchte mit den Augen, um an Martin etwas Ungewöhnliches zu entdecken. Doch ihr fiel nichts auf, mit der Ausnahme, dass er im Gegensatz zu seinem erbarmungswürdigen Anblick vor sieben Tagen gesund, kräftig und ausgesprochen begehrenswert aussah.
Sie verließen die Kapelle und blinzelten in das Sonnenlicht. Die Menschenmenge vor ihnen teilte sich und bildete eine Gasse, durch die Martin und Isabella, begleitet von Rudolf, Patrick und Jakob, zum Turnierplatz schritten.
Mathilda zog Isabella beiseite. »Diesen Weg muss er allein gehen«, sagte Mathilda und hielt die Hand der Prinzessin fest in ihrer. Sie verspürte Isabellas leises Zittern und atmete selbst tief ein.
»Ja, ich weiß«, erwiderte Isabella und blickte Martin mit brennenden Augen nach. Hier klopfte ein heißes Herz für ihn, dort vorn erwartete ihn kalter, blitzender Stahl.
*
Rupert de Cazeville lief mit raumgreifenden Schritten hinaus aus dem Palas über den Burghof zu den Ställen. Dort stand sein Pferd, auf dem er ausreiten wollte. Ihn verlangte dringend nach frischer Luft, nach der Tiefe des Waldes und der Stille der Einsamkeit. Nichts war ihm verhasster, als längere Zeit in geschlossenen Räumen zu sein. Die herzogliche Burg verfolgte ihn mit Erinnerungen. Er schalt sich selbst einen Narren, dass er sich dieser Gefühlsduselei ergab. Am liebsten wäre er sofort abgereist. Doch seine Mission war noch nicht beendet.
»Wartet, Herr!«, hörte er eine Stimme hinter sich. Abrupt blieb er stehen und drehte sich um. Er blickte geradewegs in Gundrams Augen.
»Was ist?«, knurrte er.
»Ich muss Euch sprechen.«
»Ich habe keine Zeit«, erwiderte er verärgert.
Gundram hielt ihn am Ärmel fest. »Warum habt Ihr das getan?«
De Cazevilles Augen durchbohrten Gundrams Hand, und er zog sie sofort zurück, als hätte er ein glühendes Eisen berührt. »Was getan?«
Gundrams Augen funkelten zornig, doch er unterdrückte seine Regung. »Warum habt Ihr Martin geheilt? Ich glaubte, Ihr steht auf meiner Seite!«
De Cazeville zog seine dunklen Augenbrauen zusammen. »Ich stehe auf niemandes Seite«, erwiderte er.
Ein wenig unsicher und verständnislos blickte Gundram ihn an. »Warum habt Ihr mir dann geholfen, Martin zu finden? Hattet Ihr kein Interesse daran, dass er für immer verschwindet?«
»Nein!«
»Das verstehe ich nicht. Ihr habt mich auf seine Fährte gebracht, Ihr habt mir den entscheidenden Hinweis gegeben, wie ich ihn fassen konnte.«
»Ihr wolltet Isabella finden. Eure Rachegelüste gegen Martin interessieren mich nicht.«
»Lasst mich jetzt nicht im Stich, wo ich kurz davor bin, Herzog zu werden!«
De Cazevilles Gesicht war anzusehen, dass er sich von Gundrams Aufdringlichkeit genervt fühlte. Seine Lippen pressten sich zusammen, und sein Blick wurde wieder scharf und durchdringend.
»Auch Eure Gelüste nach dem Rang eines Herzogs sind mir gleichgültig.«
Gundram zischte dumpfe Luft aus seinen Lungen. Sollte er bitten, drohen, auf die Knie fallen? Am liebsten hätte er sein Schwert gezogen und es dem Fremden mitten in sein schwarzes Herz gestoßen. Doch er wusste, dass dieser Mann lebend wesentlich wertvoller war. Trotzdem ging sein Griff automatisch zum Heft seines Schwertes an seiner Seite. De Cazeville verfolgte die Bewegung mit den Augen, und wieder blitzte Sarkasmus in ihnen auf.
»Wenn Ihr nur genauso viel Hirn hättet wie Muskeln, wäret Ihr vielleicht sogar ein ganz annehmbarer Landesfürst.«
»Wieso sollte ich nicht?«, erwiderte Gundram gekränkt. »Isabella ist mir sicher, und Martin ist für mich
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