Der Kuss des Verfemten
den kleinen Schlüssel, den sie stets an einer Kette getragen hatte, fand er nicht.
Aber er wollte nicht mehr suchen. Notfalls musste er die Schreine in den Frauengemächern mit Gewalt brechen. Er wollte seine Mission endlich zu Ende bringen. Viel zu lange hielt er sich schon in dieser Burg auf. Je länger er sich hier befand, umso mehr geriet der Erfolg seiner Mission ins Wanken. Nichts hasste Rupert de Cazeville mehr als Unvollkommenheit. Und er fühlte sich unvollkommen, wenn er seine Aufgabe nicht zu seiner Zufriedenheit erledigen konnte.
Doch seine Konzentration wurde gestört. Wieder ließ er seinen Blick über ihren Körper gleiten, dann legte er vorsichtig seine Hand auf ihren Bauch. Es geschah so leicht, dass Isabella es nicht spürte.
Die dunklen Augenbrauen von Rupert de Cazeville zogen sich zusammen. Seine Lippen murmelten tonlos ein unanständiges Wort. Mit einer unwilligen Bewegung wandte er sich um und verließ ebenso lautlos, wie er gekommen war, das Gemach.
Sechzehntes Kapitel
Nur einen Sonnenuntergang nach der feierlichen Trauung von Ritter Martin von Treytnar und Prinzessin Isabella versammelte sich wieder der gesamte Hofstaat, die Ritter und Gäste, in der Kirche. Unzählige Kerzen brannten und verbreiteten einen warmen, gelben Schein. In der Mitte vor dem Kreuz stand der offene Sarg.
Isabella blickte betrübt in das Gesicht des Herzogs, auf dem eine friedliche Stille lag. Vielleicht war es das Beste für ihn, jetzt von dieser Welt zu gehen, dachte sie im Stillen. Trotzdem hätte sie sich gewünscht, etwas mehr von ihrem Vater gehabt zu haben als diese wenigen turbulenten Wochen. Andererseits war sie plötzlich erwachsen geworden, mit einer großen Bürde auf den Schultern. Das Herzogtum brauchte eine starke Hand. Zu lange hatte ihr Vater die Zügel schleifen lassen. Nur so konnte es geschehen, dass Ritter Gundram übermäßig viel Einfluss erlangen konnte, um das Herzogtum nach seinen Vorstellungen zu lenken. So etwas durfte nie wieder passieren. Wichtig war der Rat der Ritter, doch er durfte nicht übermächtig werden.
Sie warf einen verstohlenen Blick auf Martin, der neben ihr kniete, in stillem Gebet versunken. Er spürte ihren Blick und schaute auf. Der Bischof begann die Totenmesse zu lesen. Während er sprach, schweiften Isabellas Gedanken zurück zur letzten Nacht. Trotz ihrer Trauer um ihren Vater verspürte sie pulsierendes Leben in sich. Mit wonnevollem Schauer dachte sie an Martins unendliche Zärtlichkeiten, an die Wärme seines Körpers, den Duft seiner Haut, den glücklichen Augenblick ihrer Vereinigung. Bereits einmal hatte sie so in seinen Armen empfunden, damals, auf der alten Burg, als sie bereits von Gundram und seinen Leuten belagert wurde. Damals war sie sicher gewesen, dass es das letzte Mal sein würde, in Martins Armen zu liegen. Doch das Schicksal hatte es anders gewollt. Sie waren Mann und Frau!
Verstohlen blickte sie auf den kleinen bronzenen Reif an ihrem Finger und strich liebkosend darüber. Und nun würde Martin Herzog sein. Sie war sicher, dass er auch diese Aufgabe zum Wohle des Landes meistern würde.
Die Luft in der Kirche war stickig, und Isabella wurde übel. Krampfhaft hielt sie sich an Martins Arm fest. Der Bischof hatte die Lesung der Messe beendet und kniete sich nun vor dem Kreuz nieder, um selbst für das Seelenheil des Herzogs zu beten. Isabella hoffte inständig, der Bischof würde sich nicht zu lange damit aufhalten. Sie musste dringend hinaus an die frische Luft. Martin blickte sie besorgt an. Die letzten Wochen und Tage waren einfach zu viel gewesen für so ein zartes Wesen wie Isabella. Heftiges Mitleid durchflutete ihn, und am liebsten hätte er sie auf seine Arme gehoben und hinaus in den blauen Tag getragen. Doch dies war die Kehrseite von Macht und Ruhm – die Verantwortung vor dem Land. Er durfte nicht gegen die Etikette verstoßen. Er trat die Nachfolge des alten Herzogs an. Und er ahnte, dass es nicht leicht sein würde. Trotz der herzlichen Glückwünsche der Ritter aus dem Rat gab es viele unter ihnen, die sehr wohl ihre Vorteile von Gundrams eigenem Weg gehabt hatten. Sie waren keineswegs begeistert, dass Martin nun die Geschicke in die Hände nahm und ihnen genauer auf die Finger sah. Er musste auf der Hut sein!
Aufatmend erhob er sich, als der Bischof sein Gebet beendet hatte. Seine Wunden schmerzten noch, und er hätte sich gern den heilenden Händen des seltsamen schwarzen Mannes hingegeben. Doch Erstens gingen die
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