Der Kuss des Verfemten
haben wollten. Mathilda hatte völlig recht. Doch durfte sie das vor ihr eingestehen? Es war schlimm genug, dass sie es vor sich selbst eingestehen musste, dass ihr Vater nicht dieser überlegene, überragende Landesfürst war, den sie in Erinnerung hatte. Und dass es dringend not tat, eine Änderung herbeizuführen. Der Einfluss dieser Ritter musste beschnitten werden. Doch war dies möglich, indem sie einen von ihnen ehelichte?
Während Mathilda sich nun endlich an den Auslagen der vielen Händler, die das Turnier angelockt hatte, zu erfreuen schien, benutzte Isabella einen heimlichen Seitengang, um in den Garten zu gelangen, den sie schon als Kind geliebt hatte. Es war ein kleiner Garten, voller romantischer Winkel, blühender Büsche, Rosenstöcke. Zwischen den Sträuchern standen steinerne Bänke zum Verweilen, den Blicken Neugieriger verborgen. Hier hatte sich Isabella versteckt, wenn sie von der Amme nicht entdeckt werden wollte oder um mit Mathilda ihre Geheimnisse zu teilen.
Sie setzte sich auf eine Bank und zog ihren Schleier vom Haar. In Gegenwart der fremden Menschen trug sie ein kostbares, aber züchtig geschlossenes Kleid mit einer flachen Kappe auf dem Haar, die durch ein Schleiertuch festgehalten wurde. Jetzt fühlte sie sich sogar durch diesen feinen Stoff beengt.
»Welche Wolken des Trübsinns verdunkeln die Sonne Eurer Seele?«, vernahm sie eine warme Stimme. Isabella fuhr herum – und blickte in zwei sternenklare blaue Augen!
»Oh, Ihr seid es, Ritter Michael!«, rief sie und spürte, wie sie errötete. Sie senkte den Blick und spielte verlegen mit dem Schleier in ihrer Hand.
»Habe ich Euch erschreckt?«, fragte er und blieb stehen.
»O nein, ich wollte nur etwas ausruhen von all diesem Trubel. Ich bin es noch nicht gewöhnt, so viele Menschen um mich zu haben. Aber bitte, tretet doch näher.«
Der Ritter kam auf Isabella zu und blieb vor ihr stehen. Sie rückte zur Seite und klopfte mit der flachen Hand auf die Sitzfläche.
»Setzt Euch zu mir, Herr Ritter, und leistet mir Gesellschaft!«
»Es ist mir eine große Ehre, Prinzessin, dass ich mich auf Eure Stufe erheben darf. Für einen einfachen Ritter wie mich ist es die höchste Gunst, die ihm eine edle Dame gewähren kann.«
Isabella lachte. »So? Mehr Begehr habt Ihr nicht? Dabei habt Ihr doch die Möglichkeit, für immer an meiner Seite zu bleiben.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ihr braucht nur am Turnier teilzunehmen und um meine Hand zu kämpfen. Der Sieger wird mein Gemahl.«
»Das ist fürwahr ein verlockendes Ziel, und alle Ritter würden wohl ihr Bestes dafür tun, aus diesem Turnier als Sieger hervorzugehen.«
»Natürlich! Eine Prinzessin mit einem Herzogtum als Mitgift bekommt man auch nicht alle Tage. Es schmeichelt mir, dass sechzig Ritter um meine Hand kämpfen werden.«
»Und Ihr, Isabella, was wollt Ihr?«
Sie blickte ihn überrascht an, und der Blick aus seinen Augen verursachte ihr wieder dieses seltsame Herzklopfen.
»Wie meint Ihr das?«
»Was wünscht Ihr Euch? Für Euch persönlich?«
»Für mich persönlich? Es geht doch nicht um mich persönlich, es geht um das Herzogtum meines Vaters. Seine Existenz muss garantiert, sein Bestehen gesichert sein. Meine Wünsche spielen keine Rolle.« Sie senkte wieder den Blick.
»Das ist eine fürwahr edle Einstellung! Aber der Sieger des Turniers wird Euer Gatte werden. Mit allen Rechten. Und Ihr seid dann seine Gattin, mit allen Pflichten.«
Isabella errötete wieder. »Das ist eben die Ehe. Daran kann ich nichts ändern.« Sie versuchte, gleichgültig zu erscheinen.
»Und wenn Ihr es ändern könntet?«, drang er weiter auf sie ein. »Wie würdet Ihr Euch entscheiden?«
»Ihr meint, wie in Eurem Lied? Das würde heißen, ich würde an meiner Liebe zerbrechen, wenn ich die Hand des Siegers verschmähe.«
»Möglicherweise! Es sei denn, es gäbe jemanden in Eurem Herzen, der das Ziel Eurer Träume und Sehnsüchte ist.«
Nachdenklich blickte Isabella ihn an. Ahnte er etwas von ihren heimlichen Gedanken, von ihrer seltsamen Sehnsucht nach einem Helden in silberner Rüstung und mit blauen Augen?
»Was ist mit Euch, Herr Ritter?«, fragte sie hastig, bevor sich die Stille zu sehr ausdehnte. »Werdet Ihr auch am Turnier teilnehmen und um meine Hand kämpfen?« Unbewusst hatte sie sich gerade aufgerichtet und blickte ihn ernst an.
Martin zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete: »Wünscht Ihr denn, dass ich um Euch kämpfe?«
»Aber ja!«, rief sie
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