Der Kuss des Verfemten
fremder Erde kämpft, im Angesicht der Heiden, die wie wilde Tiere angreifen, dann ist es egal, ob neben einem ein Engländer oder Franzose, Normanne oder Deutscher kämpft. Der Anführer der Heiden, Sultan Saladin, ist ebenfalls ein großer Feldherr.«
»So sprecht Ihr von den Heiden?«, staunte Isabella.
»Ja, weil man einen mutigen Mann achten muss, ganz gleich, auf welcher Seite er kämpft. Er hat verhindert, dass wir Jerusalem erobern konnten.«
»Ihr sprecht sehr seltsam, Ritter Michael, und ich kann Euch leider nicht ganz folgen.« Unwillig runzelte Isabella die Stirn.
»Es ist auch nichts Wichtiges, womit Ihr Euer hübsches Köpfchen belasten solltet«, wiegelte Martin ab. Er war sich sicher, in dieser Beziehung von Isabella keine Unterstützung erhoffen zu können.
Er erhob sich wieder und blickte ein wenig traurig auf Isabella herab.
»Ihr wollt gehen?«, fragte sie enttäuscht.
»Wir waren schon viel zu lange allein miteinander. Es schickt sich nicht für eine so hochgeborene Dame wie Euch, mit einem Ritter hinter dem Gebüsch zu hocken.« Er lächelte verlegen, und es stand ihm gut. Isabellas Herz wurde warm. Sie erhob sich und trat dicht an ihn heran.
»Werde ich Euch wiedersehen?«, fragte sie mit banger Stimme.
»Sechzig Ritter wollen Euch noch huldigen, Isabella. Und darunter sind bestimmt viele gute Troubadoure.«
»Ritter Michael, ich möchte keinen anderen Sänger mehr anhören«, sagte sie entschieden.
»Wirklich? Dabei habe ich Euch so ein trauriges Lied gesungen. Doch es war ganz allein für Euch gedacht.«
»Wolltet Ihr mich traurig machen?«
»Keineswegs! Ich wollte Euch zum Nachdenken anregen. Und nun muss ich gehen.«
»Wartet einen Augenblick!« Sie hielt ihn am Ärmel fest. »Wie kann ich sicher sein, dass Ihr mir die Treue haltet?«
Er blickte auf sie herab. Mein Gott, war sie klein und zart, dabei so verführerisch wie ein knackiger Apfel!
»Ist Euch das Wort eines Ritters nicht genug?«, fragte er mit einem spöttischen Blinzeln.
»Doch, natürlich!«, beeilte sie sich, ihm zu versichern.
»Und wie garantiert Ihr mir Eure Gunst?«
»Ich … äh … Ihr habt mein Wort!«
»Wirklich? Besiegelt Euer Wort!«
»Wie?« Sie blickte ihn ratlos an.
Er zog sie in die Arme, und mit grenzenlosem Erstaunen spürte sie seine Lippen auf den ihren. Sein Kuss war so wundervoll zart und warm, voll Inbrunst und köstlicher Süße, dass ihr schwindelig wurde.
Abrupt ließ er sie los und wandte sich um. Sprachlos blickte sie ihm hinterher, als er über den Kiesweg davoneilte.
»Ritter Michael!«, rief sie. Er stockte, ohne sich umzudrehen. Sie lief ihm nach und blieb hinter ihm stehen. Dann drückte sie ihren Schleier in seine Hand. Ohne einen Blick lief sie an ihm vorbei zum Wohnturm, wo sie sich in ihre Kammer einsperrte.
Martin blickte ihr nach, bis er sie aus den Augen verlor. Er presste sein Gesicht in den zarten Schleier und sog tief ihren Duft ein.
*
Jakob verschränkte die Arme auf dem Rücken und schlenderte zwischen den bunt gekleideten Zigeunern umher, die dem staunenden Publikum ihre Kunststücke vorführten. Es gab Feuerschlucker, rassige Tänzerinnen mit Schellen an den Fußgelenken, Männer, die mit kleinen Bällen jonglierten oder aufeinander balancierten.
»Kannst du dich noch immer nicht sattsehen?«, fragte Ritter Rudolf spöttisch. Er saß im Gras und lehnte sich gegen das Rad eines Bauernwagens. Patrick hockte neben ihm und passte auf die Pferde auf. Alle drei trugen unauffällige braune Umhänge über ihren schlichten Tuniken, wie sich auch die Bauern, Händler und einfachen Musikanten kleideten. In dem Gewimmel der Menschen auf der großen Wiese unterhalb der Burg fielen sie nicht auf.
»Die Zigeuner haben sogar einen Ziegenbock, der zählen kann und andere Kunststücke beherrscht. Und diese Mädchen mit den glühenden schwarzen Augen!« Jakob hüpfte vor Begeisterung von einem Fuß auf den anderen.
Rudolf grinste verständnisvoll. »Dir fehlt es an Abwechslung auf unserer Burgruine«, meinte er.
»Das habe ich damit nicht gemeint, Herr Ritter«, erwiderte Jakob. »Aber es war eine gute Idee, hierher zu reiten.«
»Dieser Meinung bin ich gar nicht. Es bereitet mir Sorge, dass dein Herr nicht auf mich gehört hat. Hoffentlich erkennt ihn keiner.« Besorgt kaute Rudolf auf einem Grashalm.
»Da kommt er ja!« Patrick sprang auf.
Auch Rudolf erhob sich. Niedergeschlagen und mit hängenden Schultern kam Martin schleppenden Schrittes über die Wiese auf sie
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