Der Kuss des Verfemten
verschwunden.
Fünftes Kapitel
Das erste Morgengrauen zeigte sich am Horizont, als es in der Burg des Herzogs unruhig wurde. Hähne krähten, Hunde bellten, Ochsen brüllten, und dazwischen schrien Knechte und Mägde, liefen hin und her und bereiteten den großen Tag vor, an dem die Ritter um Isabellas Hand kämpfen würden. Auf der Wiese vor der Burg rappelten sich nicht nur die Händler, Musikanten und Gaukler aus ihren Decken, sondern die Knappen der Ritter bewegten bereits die edlen Rosse, um deren Muskeln zu lockern, oder putzten die Rüstungen, die ohnehin alle schon auf Hochglanz poliert waren, prüften die Lanzen und die Sättel und schnupperten nach den köstlichen Düften, die der Schlossküche entströmten. Große Kessel mit Haferbrei dampften für das Frühstück, es gab gekochte Eier mit Essig und Öl, helles Brot, Käse und kaltes Fleisch.
Mägde schleppten angerichtete Platten ins Untergeschoss des Palas. Hier hielten sich die zahlreichen Gäste, Ritter mit ihren Knappen und Gefolge auf, hier nahmen sie ihre Speisen ein, wenn sie nicht an die Tafel des Herzogs im Prunksaal geladen waren. Die Nacht verbrachten die Gäste in den eigens dafür vorgesehenen Schlafräumen in der Vorburg, die sich zwischen dem äußeren und dem inneren Tor der Herzogsburg befand. Streng getrennt nach Männer- und Frauenschlafsälen sahen sich auch Ehepaare erst am Morgen beim Frühstück.
Isabella wälzte sich auf ihrem Bett herum und zog sich unwillig die Decke über die Ohren. Obwohl die Frauengemächer im Wohnturm etwas abseits lagen und durch einen Gang mit dem großen Seitengebäude, das den Prunk- und den Audienzsaal beherbergte, verbunden war, hörte sie die hektischen Schritte der Bediensteten über den Steinboden oder die hölzernen Stiegen poltern. Meine Güte, warum wurden die Fußböden nicht mit frischen Binsen bestreut?, ärgerte Isabella sich im Halbschlaf.
Im Wohnturm waren alle Stammbewohner der Burg untergebracht, angefangen vom Herzog, der die prachtvollsten Kemenaten im Mittelteil des Turmes bewohnte, bis zu den Burgmannen, deren Quartiere beidseits des Einganges zum Wohnturm lagen. Sie mussten bei Bedarf zuerst auf den Beinen sein, um die Burg zu verteidigen.
Doch heute galt es nicht, die Burg gegen den Ansturm der unzähligen Gäste zu verteidigen, heute war jeder willkommen, der den großen Tag mit Isabella festlich begehen wollte.
»Aufwachen, Hoheit, die ersten Gratulanten stehen schon vor der Tür!«, rief Mathilda und zog Isabella die Decke weg. Unwillig knurrte sie und hielt den Zipfel fest.
»Lass das, du grausames Kind!«, schimpfte Isabella. »Wir sind nicht mehr im Kloster, dass wir mitten in der Nacht zum Gebet aufstehen müssen. Ich will ausschlafen!«
»Das geht heute nicht. Ihr seid der Mittelpunkt des Festes, da könnt Ihr nicht schlafen!«
Auch die drei Gesellschaftsmädchen der Prinzessin waren schon aufgestanden und angekleidet und bemühten sich nun unter lautem Lachen und Scherzen, die Prinzessin aus dem Bett zu ziehen. Das überdachte Kastenbett krachte bedenklich, als sie wie übermütige Fohlen auf der Matratze herumsprangen und Isabella kitzelten, an ihrem Nachtgewand zogen und sie aus dem Bett schubsten.
»Quälgeister!«, stöhnte Isabella und schüttelte sich, als eine der Mägde, die schon bereitstanden, sie zu waschen und anzukleiden, ihr kaltes Wasser ins Gesicht spritzte.
»Das gibt rosige Wangen!«, kicherte Sieglinde und rubbelte Isabella mit einem Tuch trocken. Dann kleideten sie die Prinzessin in ein langes, weißes Unterkleid und legten eine reich bestickte rote Tunika darüber. Ihre blonden Locken wurden gebürstet und geflochten und zu einem züchtigen Kranz am Hinterkopf zusammengesteckt. Zuletzt legten sie ihr den Schleier darüber und setzten die Adelskrone auf das Haupt. Dieser schmale, goldene Reif mit dem funkelnden Rubin in der Mitte war von nun an das Zeichen ihrer hohen Abstammung und ihrer weltlichen Macht.
Seltsamerweise veränderte diese Ausstaffierung plötzlich Isabellas Verhalten. Hoch aufgerichtet, mit stolz erhobenem Kopf stand sie da, ließ mit entrücktem Blick das Zupfen und Zerren der Mädchen über sich ergehen, die hier noch eine Falte, da noch eine Naht zu richten hatten. Sie blickte zur Tür, als ihr Vater eintrat, um ihr seine Glückwünsche zu überbringen.
Mit rührselig verschwommenen Augen stand er vor ihr, die Arme ausgebreitet und ein verlegenes Lächeln auf dem Gesicht.
»Komm an mein Herz, meine Tochter«, sagte er,
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