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Der Kuss des Verfemten

Der Kuss des Verfemten

Titel: Der Kuss des Verfemten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hastings
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kleine Kammer der Gemächer und hockte sich vor den Schrein. Andächtig steckte sie den Schlüssel in das alte, verrostete Schloss und drehte ihn. Es knirschte, hakte und krachte, dann sprang der Riegel auf. Isabella öffnete die mit eisernen Beschlägen verzierte Tür und blickte hinein. Sie erkannte Stoffe, Kleider, einen seidenen, gestickten Teppich, eine Bibel, mehrere Kästchen, obenauf eines aus dunklem Ebenholz, kostbar mit Perlmutt und Bernstein verziert. Vielleicht war darin der Schmuck der Mutter aufbewahrt. Doch den wollte sie heute nicht anlegen. Erst zu ihrer Hochzeit würde sie ihn tragen und hoffen, dass seine Trägerin genauso geliebt werden würde, wie ihre Mutter geliebt worden war.
    Sie vernahm einen entzückten Aufschrei aus der vorderen Kemenate. »Hoheit!«, rief Mathilda mit sich überschlagender Stimme. »Euer Kleid für das Turnier ist gebracht worden. Es ist ganz aus Gold!«
    Isabella warf die Tür des Schreins zu und lief zu ihren Zofen und Gesellschaftsdamen. Mit aufgerissenen Augen starrte sie auf das Kleid, das aus einem ganz aus Goldfäden gewebten, hauchdünnen Überkleid auf einem seidenen Unterkleid bestand. Es musste ein Vermögen wert sein! Wenn davon nicht jedem Ritter die Augen geblendet wurden!
    »Gütiger Himmel!«, stöhnte sie. »Das kann ich unmöglich tragen! Es ist viel zu kostbar!« Für einen Augenblick kamen ihr die Verse des Liedes in den Sinn, das Ritter Michael in der Weinlaube vorgetragen hatte: Da trat die Dame holde gar vor die Ritter Schar; das Kleid war ganz von Golde, so golden wie ihr Haar. Die Wangen Morgenröte, die Augen Himmelsschein, dass mancher Ritter böte der Liebste ihr zu sein. War es Zufall oder gar Bestimmung? »Ihr müsst es tragen, Isabella!«, widersprach Mathilda mit vor Aufregung roten Wangen. »Alle Ritter tragen Eure Farbe an ihren Lanzen. Gold!«
    »Und Ihr müsst Euch beeilen, gleich beginnt der Gottesdienst in der Kapelle!«, mahnte Rosamunde.
    Mit allen zur Verfügung stehenden Händen wurde Isabella umgekleidet. Dann folgten sie der strahlenden Prinzessin voll Stolz durch den Gang hinüber zur Kapelle, die neben dem Prunksaal lag und durch eine kleine Seitenpforte zu erreichen war, ohne dass man den Burghof betreten musste.
    Der Schlüssel blieb unbeachtet im Schrein stecken.
    *
    Unzählige Fahnen wehten im warmen Maienwind über der Wiese unterhalb der Burg, wo der große Turnierplatz aufgebaut war. In Anbetracht der Vielzahl der Ritter, die an dem Wettkampf teilnehmen wollten, wurde das Spektakel nicht wie gewöhnlich auf dem Turnierhof, der sich zwischen den Stallungen und den Speichern erstreckte, durchgeführt.
    Überall standen Zelte, die den Rittern für die Zurüstung dienten und wo die Knappen und Gefolgsleute der Ritter mit Argusaugen über die wertvolle Ausrüstung ihrer Herrn wachten. Neben den Zelten waren die herrlichen, kräftigen Pferde angepflockt, die ebenso farbenprächtig wie ihre Reiter herausgeputzt wurden.
    Den eigentlichen Turnierplatz bildete eine lang gestreckte Bahn aus aufgeschüttetem Sand, die durch Pflöcke und Wimpelketten abgeteilt und begrenzt wurde. Rundherum befanden sich hinter fahnengeschmückten Banden die Zuschauerplätze. In der Mitte der Längsseite war die Loge für die Ehrengäste aufgebaut, den Herzog, Isabella und ihre Adelsdamen. Diejenigen Ritter, die nicht am Turnier teilnahmen, und deren Ehefrauen flankierten die Loge.
    Nicht nur die Ritter, ihre Pferde und Knappen waren prachtvoll herausgeputzt, auch das Publikum schien sich gegenseitig übertreffen zu wollen. Es war ein berauschendes Fest der Farben und des metallischen Glanzes, der Selbstdarstellung und Bewährung, ein Sehen und Gesehenwerden, das es bis zur Neige auszukosten galt. Die Damen trugen farbenprächtige Kleider, auch die Männer standen ihnen kaum nach, und die Tuch- und Schmuckhändler lachten über prallvolle Geldsäckel.
    Bereits seit dem frühen Morgen fand ein Buhurt der Knappen und Knaben statt, bei dem sie ihr reiterliches Können und ihre Geschicklichkeit zur Schau stellen und sich im freundschaftlichen Wettkampf tummeln konnten, bei dem es keine Sieger und keine Verlierer gab. Der Beifall der Zuschauer und manch anerkennender Blick der Herren Ritter war ihnen jedoch gewiss. In den Pausen zeigten Ringkämpfer Proben ihres Könnens. Dabei ging es bereits recht heftig zu, und die Zuschauer wetteten auf den einen oder anderen Kämpfer. Es heizte die Stimmung an und die Vorfreude auf den Höhepunkt des Festes.
    Dieser

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