Der Kuss des Verfemten
darf ich mich nicht verlieben? Ich habe es ja selbst nicht für möglich gehalten. Es geschah einfach so.«
»Einfach so? Mathilda, das ist Verrat!« Isabellas Stimme überschlug sich.
»Verrat? Gegen wen?«
»Gegen mich, gegen Gott! Wir dürfen uns nicht verlieben. Nicht in einen Mann!«
Mathilda verzog trotzig die Mundwinkel. »Und warum nicht?«
»Weil es sich nicht gehört, es ist einfach unanständig. Wir dürfen nur Gott lieben. Alles andere ist Teufelei!«
»Aber wir sind doch keine Nonnen! Wir leben nicht im Kloster. Und mit meiner Liebe zu Gott hat das gar nichts zu tun. Es ist anders, es ist wunderschön und überwältigend.« Mathilda hob beschwörend ihre Hände.
Isabella blickte sie befremdet an. »Ich erkenne dich nicht wieder. Und ich sehe Abgründe in deinem Blick. Es ist noch nicht lange her, da hast du dich danach gesehnt, ins Kloster zurückzukehren. Niemals wolltest du dich an einen Mann vergeben. Du kleine Närrin, weißt du überhaupt, was die Männer mit einer Frau machen?«
Mathilda nickte. »Ja, das weiß ich.«
»Ach, und woher?« Mathilda schwieg, und Isabella riss die Augen auf. »Heißt das etwa, dass du …« Sie konnte nicht weitersprechen.
»Ja, ich habe mich ihm hingegeben, und es war wunderschön.«
Entsetzt fuhr Isabella zurück, als wäre Mathilda eine Aussätzige. »Du bist des Teufels! Du bist verdammt! Deine Seele wird nicht ins Himmelreich kommen. Du hast gesündigt, du hast dich diesem Raubritter hingegeben, und du bist nicht verehelicht! O Mathilda, ist dir das alles deine Verdammnis wert?«
Mathildas Rücken straffte sich, und ihre Augen funkelten zornig.
»Ich fühle mich weder sündig noch verdammt noch schuldig. Ich liebe ihn, Isabella, ich liebe ihn. Und nur das allein zählt. Er kann mich nicht heiraten, weil er weder Land noch Geld besitzt. Aber das ist für mich nicht wichtig. Er ist ein Ritter, ein Krieger, und ich werde dahin gehen, wohin er geht. Ich werde seine Frau sein, auch wenn ich kein Dach über dem Kopf habe und kein Feld zu bestellen. Isabella, wir sind hier draußen in der Welt und müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ich habe Euch nicht verraten. Meine Treue zu Euch hat nichts mit meiner Liebe zu Ritter Rudolf zu tun.«
Mathildas Wangen hatten sich gerötet, und sie unterstrich ihre leidenschaftliche Rede mit ausholenden Gesten.
Isabella starrte sie an, ein eiserner Ring schien sich um ihre Brust zu legen, und sie fühlte sich entwurzelt, verraten, gedemütigt. Und das von ihrer besten Freundin, die sie fast wie eine Schwester geliebt hatte! Fröstelnd zog sie die Schultern hoch. Ihr Gesicht erstarrte zur Maske.
»Verschwinde!«, flüsterte sie.
Mathilda rang nach Luft. »Es ist Eure Schuld, wenn Ihr Euch so unmöglich benehmt. Dabei könntet auch Ihr lieben! Ritter Martin scheint Euch sehr zu lieben. Er betet Euch an, und Ihr könntet die glücklichsten Stunden Eures Lebens erleben, wenn Ihr ihm nur Euer Herz öffnen würdet. Aber in Eurem Stolz seid Ihr so blind und taub – und so dumm!«
»Hinaus mit dir, du elende Hure! Du bietest mir ein Verhältnis mit einem Raubritter an? Eher stürze ich mich von den Zinnen dieser Ruine, als mich diesem Mann hinzugeben. An deinen Worten sieht man, wie die Liebe den Geist eines Menschen vergiftet. Ja, vergiftet, denn Liebe ist Teufelszeug! Auch du hast von diesem Kelch gekostet, und nun schmorst du bereits im Höllenfeuer, du merkst es bloß nicht.«
Mathilda ging zur Tür. Schulterzuckend wandte sie sich noch einmal um. »Wenn es wirklich das Höllenfeuer ist, dann ist es wunderbar. Und ich kann Euch nur bedauern, dass Ihr niemals erfahren werdet, wie himmlisch die Liebe ist.«
Dann schloss sie die Tür. Wütend warf Isabella einen Schuh hinterher. »Blöde Gans!«, zischte sie.
*
Die Reiter, die an einem sonnigen Tag aufgebrochen waren, kamen nur langsam voran. Sie hatten es nicht eilig. Mehrmals warf Gundram einen Seitenblick auf seinen unheimlichen Begleiter. Obwohl er den Fremden gebeten hatte, ihn zur Burg des Herzogs zu begleiten, um Martins Boten abzufangen, war ihm nicht ganz geheuer dabei. Nicht nur das seltsame Äußere des Fremden beunruhigte ihn. Mehr noch war es sein messerscharfer Verstand, seine fast seherischen Fähigkeiten und die unheimliche Ruhe und Selbstsicherheit dieses Mannes.
Gegen Abend rasteten sie am Rande eines Waldes. Gundrams Männer bauten ein provisorisches Lager auf, ein Feuer wurde entfacht, Wasser erwärmt und Proviant ausgepackt. Einige der
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