Der Kuss des Verfemten
Männer kümmerten sich um die Pferde, andere sicherten die Umgebung. Doch es blieb ruhig. Gundram selbst ging auf die Jagd und erlegte vier Hasen, die über dem Feuer gebraten wurden.
De Cazeville setzte sich etwas abseits des Feuers in den Schutz eines großen Baumes und verschmolz fast mit der Dunkelheit. Sein Sattelzeug packte er an seine Seite und versorgte auch sein Pferd selbst. Schweigend lehnte er sich an den Stamm.
Köstlicher Bratenduft verbreitete sich nach einiger Zeit. Gundram warf einen schrägen Blick zu de Cazeville, der sich nicht um die anderen Männer scherte. Er hatte aus seiner Satteltasche eine flache Schale ausgepackt und streute irgendwelche getrockneten Kräuter hinein. Dann überbrühte er sie mit heißem Wasser und setzte sich wieder unter die Eibe.
»Wollt Ihr mir nicht beim Essen Gesellschaft leisten?«, fragte Gundram.
De Cazeville blickte kurz auf. »Danke, nein!« Er begann bedächtig, den Sud zu schlürfen. Neben ihm auf der Satteldecke lagen zwei Äpfel, die er dabei verspeiste.
Gundram zuckte die Schultern. Er fand das Verhalten des Fremden außerordentlich unhöflich. Doch da Gundram auch kein Mann mit geschliffenen Manieren war, konnte es ihm letztendlich egal sein. Die Männer zogen ihre Messer, zersäbelten die gebratenen Hasen und verschlangen gierig das Fleisch. Nachdem sie sich die Bäuche vollgeschlagen hatten, legten sie sich in der Nähe des Feuers auf ihre Satteldecken. Lediglich die Wache machte den Rundgang.
Gundram blickte noch einmal zu de Cazeville hinüber. Der packte sorgfältig seine Trinkschale wieder in die Ledertasche. Im rötlichen Licht des Feuers glänzte die gebräunte, faltenlose Haut seines Gesichtes wie Bronze. Seine schwarzen Augen glühten wie Kohlestückchen. Mit den hohen Wangenknochen, dem schmalen Gesicht und dem kurz geschnittenen dunklen Haar wirkte er exotisch. Seine scharfe Kinnlinie und das energische Kinn verrieten Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen. Seine Wangen waren sorgfältig glatt rasiert, wie es die meisten Kreuzritter taten, die lange unter der warmen südlichen Sonne gelebt hatten. Auch sein ganzes Verhalten war keineswegs normal. Ihn umgab eine Aura, die selbst Gundram eine Gänsehaut einjagte. Zwar trug der Fremde ein Schwert, aber er hatte es noch nie gezogen. Kämpfen war offensichtlich nicht sein Handwerk, und ein Ritter schien er nicht zu sein. Seine Kleidung wies weder auf einen Ritter, einen Händler noch auf einen Bauern hin. Dass er von Adel war, glaubte Gundram als einziges sicher zu vermuten. Doch er kannte nicht einmal seinen Namen. Und auch, was dieser Mann hier wollte, warum er sich in Gundrams Angelegenheiten einmischte und sich unentbehrlich machte, hatte Gundram bislang nicht ergründen können.
Er erhob sich und trat zu dem Fremden. Er sollte sehen, dass er keine Furcht vor ihm hatte. Er hockte sich neben ihn auf den Waldboden. »Ihr schlagt meine Gastfreundschaft aus, setzt Euch abseits und schweigt.«
De Cazeville warf ihm einen kurzen, unfreundlichen Blick zu. »Ich wollte Euch damit nicht beleidigen«, erwiderte er knapp.
»Niemand würde es wagen, mich zu beleidigen«, sagte Gundram herablassend.
Ein spöttisches Lächeln flog über de Cazevilles Gesicht. »Ihr seid es gewöhnt, Euren Willen durchzusetzen. Ich auch!«
Gundrams Mund blieb vor Verblüffung offen stehen. Die Kühnheit des Fremden grenzte bereits an Todesmut. »Ihr kennt mich nicht, Fremder, deshalb wagt Ihr diese tollkühnen Worte!«
De Cazeville schnaufte verächtlich. »Ich blicke in Eure Seele wie in das Wasser eines klaren Quells. Ihr mögt etwas von Kriegskunst und Zweikampf verstehen, doch das allein reicht nicht aus für die ehrgeizigen Ziele, die Ihr Euch gesteckt habt.«
»Was wisst Ihr über meine Ziele?«
»Alles, was mir Eure Gedanken verraten, Ritter Gundram. Ihr strebt nach Macht, nach viel Macht über die Menschen. Das Lehen allein reicht Euch nicht. Deshalb braucht Ihr Isabella als Frau. Ihr wollt das Herzogtum!«
Gundram senkte den Blick und nickte. »Gut erkannt, Fremder! Ich will die Macht über dieses Herzogtum, und ich stehe davor, sie zu erlangen. Was ist daran verwerflich? Strebt nicht jeder nach Macht? Ihr nicht auch?«
De Cazeville schüttelte den Kopf. »Ich strebe nicht danach, Macht über die Menschen zu erlangen. Ich besitze sie bereits!«
Gundram starrte ihn entgeistert an und rückte vorsichtshalber ein Stück von ihm ab. Doch der Fremde rührte sich nicht, griff nicht nach seiner Waffe,
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