Der Kuss des Verfemten
Isabella.
»Hm, wir feiern den Namenstag meines Schutzpatrons, des heiligen Martin. Ist das nicht auch Euer Schutzheiliger?« Er zog das Medaillon unter seinem Hemd hervor und hielt es schaukelnd vor ihre Augen.
Sie wich zurück und rang nach Luft. Es ärgerte sie schon wieder, dass sie zu schnell geantwortet hatte. Außerdem war es doch wohl die größte Frechheit, dass er mit dem geraubten Medaillon prahlte!
»Seit Ihr es mir geraubt habt, ist er nicht mehr mein Schutzheiliger. Außerdem ist sein Namenstag am elften November, wenn die Ernte beendet ist. Ihr scheint überhaupt keine Ahnung zu haben!«
Martin grinste wieder. »Dann lehrt es mich«, sagte er. »Ich glaube, ich kann noch viel von Euch lernen, Hoheit.«
»Und ich glaube, dass ich überhaupt keine Lust habe, mich mit Euch zu unterhalten.«
»Schade, es würde meine einsamen Stunden verkürzen. Als Prinzessin müsstet Ihr doch geradezu überschäumen vor Klugheit, Güte, Nächstenliebe und Liebenswürdigkeit.«
»Wie viele Prinzessinnen kennt Ihr denn, dass Ihr derartige Vergleiche wagt?«, fragte Isabella etwas verunsichert.
»Einige. Doch ich traf bisher keine, die so bösartig, zickig, halsstarrig, trotzig, eigensinnig, anmaßend – und hübsch ist.«
Isabella gab ein kurzes, missbilligendes Geräusch von sich. Sie wollte nicht hören, was Martin ihr sagte, denn er bedrohte immer mehr ihre Abwehr, die sie um sich aufgebaut hatte.
Er steckte jetzt seinen Kopf zu dem kleinen Fenster herein und blickte Isabella direkt in die Augen, Tiefe in Tiefe. Ihr schwindelte, als sie die blauen Blitze direkt ins Mark trafen.
»Also, was ist? Auch wenn Eure Worte spröde klingen, so sehe ich doch in Euren Augen den Wunsch nach mehr Geselligkeit. Oder seid Ihr etwa zu feige, Euch an meine Tafel zu setzen?«
»Pah, ich bin nicht feige«, erwiderte sie und senkte trotzig den Blick. Wer weiß, was er sonst noch in ihren Augen lesen konnte!
»Also, dann darf ich bitten!«, rief er, und es klang wie ein Befehl. Der köstliche Bratenduft hatte in Isabellas Magen ein heftiges Knurren ausgelöst, und nach den kärglichen Mahlzeiten der letzten Tage hatte sie tatsächlich gewaltigen Appetit auf einen deftigen Braten. Mit einer hektischen Handbewegung fuhr sie sich übers Haar und ordnete die Strähnen. Dann glättete sie den Stoff ihres Rockes und verließ die Kammer.
Martin erwartete sie auf dem Hof. Er hielt ihr die Hand entgegen und geleitete sie hoheitsvoll zwischen Jauchepfützen, Abfallhaufen und gackernden Hühnern hindurch zum Eingang der Halle im Haupthaus.
Isabella staunte. Die Wände waren mit frischem Birkengrün geschmückt, den Boden bedeckten geschnittene Binsen. Die lange Tafel in der Mitte des Raumes bog sich unter den Platten mit Köstlichkeiten: Fleischpasteten, Braten, Früchte, Gebäck, Bierkrüge, Weinschläuche. Dazwischen waren Blumen gestreut, die Platten mit frischen Kräutern garniert.
Isabella blickte überrascht auf die übervoll gedeckte Tafel. »Aber das ist doch Wildbret«, stellte sie verwundert fest.
»Allerdings. Hirsch mit Preiselbeeren, Hasenbraten mit Speckstreifen und Fasanenpastete mit Wildkräutern. Ein fürstliches Mahl, nicht wahr?«
»Es ist Wild«, wiederholte Isabella. »Wo habt Ihr das Wild her?«
»Aus dem Wald, woher sonst?«
»Da Ihr ein Entrechteter seid, steht es Euch nicht zu, im Wald zu jagen. Und Wilddieberei wird mit dem Tode bestraft!«
Martin schien das keineswegs zu stören. Er zuckte mit den Schultern und hob schnuppernd die Nase. »Ein köstlicher Duft. Hm, die Köchin hat sich wirklich alle Mühe gegeben. Danke, Mutter Agnes!«
Eine dralle Frau mit einer schmuddeligen Haube auf dem Kopf verzog ihr Gesicht zu einem breiten Lächeln. »Greift zu, Herr Ritter, und lasst es Euch schmecken!«
Martin ließ sich am Kopf der Tafel nieder, nachdem er Isabella den Stuhl zu seiner Rechten gehalten hatte.
Widerstrebend setzte Isabella sich zu der am Tisch versammelten Meute. Neben Ritter Rudolf und einigen anderen Männern, die Ritter hätten sein können, saßen auch Bauern, Mägde, Knechte und allerlei anderes niederes Volk auf den Bänken und griffen gierig nach den Köstlichkeiten auf den Platten.
Stirnrunzelnd bemerkte sie Mathilda, die neben Rudolf saß. Sie wechselten verliebte Blicke. Rudolf legte ihr von jeder Fleischplatte ein kleines Stück auf den Teller, was Mathilda mit einem süßen Lächeln quittierte. Ab und zu beugte sie sich zu ihm herüber, um ihn zärtlich auf die Wange zu
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