Der Kuss des Werwolfs - 1
wohin du willst«, fügte Violet hinzu. »Ich werde nicht versuchen, herauszufinden, wohin du unterwegs bist. Ich schwöre.« Sie hob zwei Finger.
»Victoria Station«, gab Nola nach.
»Brauchst du noch was? Geld zum Beispiel?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es wird hoffentlich nicht für lange sein, und ich habe das Geld, das ich für meinen Urlaub gespart habe. Ruf mich nicht an, ich schalte das Mobiltelefon aus. Wenn es geht, melde ich mich bei dir.«
Auf dem Bahnhof wartete Nola auf einen Zug nach York, von dort gab es einen Anschluss nach Edinburgh. Während des Wartens schaute sie sich immer wieder um, musterte die anderen Reisenden. Von den Tworeks Gott sei Dank keine Spur. Dennoch hämmerte ihr Herz so laut, dass es in ihren Ohren dröhnte. Sie hielt es nicht lange im Wartebereich aus, stattdessen schlenderte sie durch die Ladenzeile, ohne die Geschäfte richtig wahrzunehmen. Es war nach Mitternacht, trotzdem herrschte auf dem Bahnhof so viel Betrieb wie andernorts zur Hauptverkehrszeit. London schlief nie, und das galt auch für seine Bahnhöfe. Immer wieder blickte sie um sich, voller Angst, dass die Tworeks sie womöglich doch noch aufstöberten und ihr Fluchtversuch scheiterte.
Nola stieg als eine der Ersten in den Zug nach York. Sie suchte sich ein leeres Abteil, wuchtete die Reisetasche auf die Gepäckablage und setzte sich ans Fenster. Als der Zug abfuhr, blieb sie allein im Abteil.
Das Geräusch der rollenden Räder schläferte sie ein. Die Füße hatte sie auf den gegenüberliegenden Sitz gelegt, ihr Kopf sank nach vorn. Der Wagen ratterte über eine Weiche, und sie schreckte hoch. War ihre Eingebung, nach Schottland zu fahren, richtig, oder hätte sie lieber in die Türkei fliegen sollen? Oder vielleicht in London bleiben und die Tworeks aus ihrem Leben verbannen sollen? Aber wie? Diesem Pärchen war sie nicht gewachsen. Oft hatte sie sich ein aufregenderes Leben gewünscht, als tagein und tagaus zwischen ihrer Wohnung und dem Savoy hin-und herzupendeln. Doch jetzt, wo ihr Leben Aufregung in Hülle und Fülle bot, würde sie alles darum geben, zu wissen, was die nächsten Tage bringen würden. Die Erschöpfung übermannte sie, erneut sank ihr Kopf nach vorn.
Sie begegnete Rhodry am Ufer eines Sees. Er saß im Gras und wartete. Sie näherte sich ihm von hinten, wollte ihn überraschen, doch kurz bevor sie ihn erreichte, drehte er sich um. Er sprang auf und umarmte sie.
»Prinzessin«, flüsterte er in ihr Haar. »Ich habe so lange auf dich gewartet.
Sie lagen nebeneinander im Gras, er streichelte sie mit Blicken. Sie genoss es, begehrt zu werden, atmete schneller, als er ihr über die Wange strich und den Finger im Ausschnitt ihres Kleids verschwinden ließ. Die zarte Haut ihres Dekolletes prickelte. Sacht malte er mit dem Fingernagel ein Muster auf ihre Haut, spielte auf ihr eine geheime Melodie, die nur sie hören konnten. Dann lagen sie nackt am Seeufer, ihre Kleidung wehte ihm Wind davon. Nola öffnete sich ihm mit allen Sinnen und fand vollkommene Erfüllung.
Kurz bevor der Zug in York einfuhr, wachte sie auf. Sie rieb sich die Augen, reckte die steifen Glieder und entdeckte einen langen
Kratzer an der Innenseite ihres linken Oberschenkels sowie einen weiteren auf ihrer linken Brust. Diesmal war sie nicht erschrocken.
»Ich komme, Rhodry, ich komme«, flüsterte sie. Und tatsächlich hatte sie das Gefühl, er antwortete ihr, indem er sehnsüchtig ihren Namen rief.
Kapitel 8
Der Verkehr in Edinburgh war so dicht, dass Nola sich an London erinnert fühlte, als sie zum zweiten Mal einen Kreisverkehr durchfuhr, um die richtige Ausfahrt zu finden. Sie hatte von der Autovermietung, bei der sie sich nach ihrer Ankunft einen Wagen gemietet hatte, einen Stadtplan bekommen und sich den Weg vorher angeschaut. Es hatte einfach ausgesehen, aber sie war sich sicher, bereits jetzt in die Irre gefahren zu sein. Schließlich fand sie aber doch die richtige Ausfahrt, ließ das Zentrum Edinburghs hinter sich und durchquerte die Vorstädte. Hinter Stirling ließ der Verkehr merklich nach. Nola verließ die großen Straßen und schlängelte sich auf kleineren nach Norden. Die Strecke wurde immer schmaler und kurvenreicher, je weiter sie in die Highlands hineinkam. Doch mit jeder Meile, die sie zwischen sich und die Tworeks brachte, fühlte sie sich befreiter. Sie öffnete das Schiebedach und die beiden vorderen Fenster, löste ihre Zopfspange und ließ sich den Wind durch die Haare wehen.
Sie kam durch
Weitere Kostenlose Bücher