Der Kuss des Werwolfs - 1
mit Eugene und anderen Werwölfen in geheimen Kammern der Burg. Er schloss sie aus seinem Leben aus. Wenn das das Wesen der Seelenpartnerschaft war …
Sie war seit Tagen wütend auf ihn, und heute hatte sie genug. Wenn er keine Lust auf ihre Gesellschaft hatte, würde sie sich eben eine Beschäftigung suchen; jedenfalls würde sie sich nicht länger auf Shavick Castle gefangenhalten lassen.
Sie ging in die Ställe und sprach einen Stallburschen an. Es war derjenige, den sie bereits in der Küche beim Suppe essen gesehen hatte. »Ich würde heute gerne ausreiten, sattel mir bitte ein Pferd. Ein Braves, ich bin etwas aus der Übung. Ich reite übrigens wie die Herren, nicht im Damensattel.«
Nola trug eine Hose und Stiefel, die ihre Zofe Jane ihr nach langem Beknien besorgt hatte. Das Mädchen war zwar nicht um ihre Sicherheit, aber um ihren guten Ruf als Lady besorgt gewesen — für eine solche gehörte es sich einfach nicht, sich in Herrenkleidung zu zeigen. Mehrere Tage hatte sie sich schlicht geweigert, aber heute Morgen hatte sie die Sachen wortlos auf Nolas Bett gelegt.
Der Bursche schaute sie mit offenem Mund an, war jedoch zum Glück nicht wie Jane, sondern fasste sich rasch wieder, ging zu einer Box und öffnete sie. Ein hübscher Dunkelfuchs stand darin. »Gebt mir ein paar Minuten, Mylady. Ich bringe die Stute dann in den Hof.«
Nola verließ den Stall wieder und wartete draußen auf den Stallknecht. Sie hielt ihr Gesicht der Sonne entgegen, die heute ausnahmsweise einmal zwischen den Wolken hervorlugte. Schließlich brachte der Bursche den Dunkelfuchs und führte außerdem noch einen schlanken Braunen am Zügel.
»Ich begleite Euch, Mylady. Es schickt sich nicht, dass eine vornehme Lady allein ausreitet, ohne ihren Groom.« Er half ihr in den Sattel und stieg selbst auf den Braunen.
Im Schritt ritten sie vom Hof und die Auffahrt hinunter. An deren Ende wendete sich Nola Richtung See, von wo ein Weg in die Berge zu führen schien. Die Stute gehorchte willig ihren Hilfen.
Als Nola sich zum Reitknecht umdrehte, der sich immer eine Pferdelänge hinter ihr hielt, sah sie, dass Eugene ihnen von der Burg aus nachblickte. Sie ignorierte es und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Stalljungen zu.
»Wohin führt dieser Weg?«, fragte sie. »Und wie heißt du überhaupt?« »Edward. Ihr könnt mich aber auch Teddy nennen, das machen alle. Der Weg führt zu einem Steinkreis, in dem nachts die Geister umgehen.«
»Ein Steinkreis? Das klingt aufregend. Jetzt ist es ja nicht Nacht. Lass uns hinreiten, Teddy!« Sie trieb ihre Stute zu einem leichten Trab an. Die Gangart war ungewohnt, und am Anfang wurde Nola kräftig durchgeschüttelt, bis sie den richtigen Rhythmus gefunden hatte. Sie vertraute der braven Stute nach Kurzem so sehr, dass sie schließlich sogar einen Galopp wagte.
Teddy setzte sich mit dem Braunen neben sie und leitete sie zum Steinkreis. Dieser lag auf einem Hügel. Soweit Nola von unten erkennen konnte, waren mehrere Steine umgestürzt, einige standen noch. Nola zügelte ihr Pferd, und bevor Teddy ihr helfen konnte, war sie schon aus dem Sattel gesprungen.
»Mylady!«
»Den Steinkreis will ich mir aus der Nähe anschauen. Bitte warte mit den Pferden hier auf mich.«
Antonia und Ludmilla waren im »Fat Cat Inn« zurückgeblieben, während Maksym mit Igor, Pjotr und Andrej nach Shavick Castle aufgebrochen war. Gestern hatten sie die Burg aus sicherer Entfernung beobachtet. Es waren einige Werwölfe angekommen -wahrscheinlich hatten sie dieselbe Einladung erhalten wie Ianthe. Sonst hatten sie nichts Außergewöhnliches entdeckt, vor allen Dingen Rhodry Monroe nicht zu Gesicht bekommen.
Maksym hatte seine drei Leibwächter auch heute wieder ausgeschickt, Shavick Castle zu beobachten, während er selbst die Umgebung erkunden wollte. Igors Einwände, dass er dann ohne Schutz wäre, hatte er beiseite gewischt. Jetzt lehnte er an einem aufrecht stehenden Stein in der Mitte eines Steinkreises und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Sie stieg höher, schaffte es aber nicht, den Tag zu erwärmen. Dafür fesselte eine Bewegung am Fuß des Hügels seine Aufmerksamkeit. Jemand sprang vom Pferd, eine Frau in Hosen. Keine Werwölfin; sie roch nach Mensch. Jetzt kam sie den Hang herauf, ihr Groom blieb mit den Pferden zurück.
Derenski verbarg sich hinter dem Stein, damit sie ihn nicht sah. Er beobachtete, wie sie den Hang hinaufstieg, hörte ihre keuchenden Atemzüge, schnüffelte in der Luft.
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