Der Kuss des Werwolfs - 1
verschieden aussahen — silbergrau bis dunkelgrau — konnte sie sie kaum auseinanderhalten und wusste nicht genau, welcher von ihnen Pawel Tworek gewesen war.
Einer der Wölfe löste sich aus dem Knäuel und floh den Hügel hinab. Die anderen beiden folgten. Nola beobachtete sie am ganzen Leib zitternd, die Hand auf die schmerzende Schulter gepresst. Blut quoll durch den Mantel, den sie wieder richtig angezogen hatte, zwischen ihren Fingern hervor. Trotz des Mantels wurde ihr kälter.
Die Verfolger blieben dem Fliehenden dicht auf den Fersen. Der drehte sich um und stellte sich erneut zum Kampf. Das Knurren und Heulen drang bis zu Nola. Da die Wölfe nicht mehr in ihrer unmittelbaren Nähe waren, ließ ihre Angst nach und sie beobachtete sie mit einer gewissen Faszination. Ein Wolf hatte sich in den Schwanz eines anderen verbissen, und es war fast komisch anzusehen, wie sie sich umeinander drehten. Der Dritte fuhr dazwischen, verbiss sich im Nacken des großen Grauen. Der ließ die Rute los und wandte sich dem neuen Gegner zu.
Ein hohes Heulen ertönte. Einer ist verletzt, dachte Nola, konnte jedoch nicht erkennen, wen es getroffen hatte. Da sich der Graue inzwischen aus dem Würgegriff befreit hatte, musste es einer der anderen sein. Sie kamen wieder ein Stück den Hügel hinauf, und einer der Drei hinkte auf einem Vorderlauf. Nola strengte ihre Augen an und meinte, einen Blutstrom zu sehen, der dem Hinkenden die Schulter hinabfloss. Der große Graue und der Dritte fielen umso wütender übereinander her, jagten nun den Hügel hinab und verschwanden außer Sicht.
Der verletzte Wolf kroch auf dem Bauch auf Nola zu und hinterließ eine Blutspur im nassen Gras. Soweit ein Wolf traurig aussehen konnte, sah dieser traurig aus. Als er noch näher kam, wich sie zurück, bis sie an den Dolmen stieß. Den Rücken an den Stein gepresst, blieb sie stehen.
Der Wolf hielt ebenfalls inne und ließ sich nieder. Er legte die Schnauze auf die Vorderpfoten, zog die Stirn in Falten und sah aus, als wollte er »bitte, bitte, bitte« sagen. Er winselte. Wenn ein Hund winselte, klang es zum Steinerweichen, bei einem Wolf noch viel schlimmer.
Mitleid überwältigte Nola, und sie streckte eine Hand aus. Das Winseln wurde noch kläglicher.
»Du Armer, bist du schwer verletzt?«
Fußbreit um Fußbreit wagte sie sich vor. Wölfe hatte sie bisher nur im Zoo gesehen, und dieses Exemplar hier war viel größer. Es könnte ihr mit einem Biss die Hand abreißen. Dennoch näherte sie sich ihm weiter. Ihre eigene Verletzung hatte sie vergessen.
»Ruhig, ganz ruhig. Ich will dir nichts tun, nur helfen. Das verstehst du doch?« Sie gab ihrer Stimme einen dunkel-lockenden Klang.
Wedelten Wölfe mit dem Schwanz wie Hunde? Dieser hier tat es nicht. Er lag still auf der Erde, ein Zittern lief über sein Fell. Nola wagte sich noch näher heran, bis sie ihn berühren konnte. Sie kraulte ihn zwischen den Ohren, was ihm zu gefallen schien. Er hörte mit dem Winseln auf, stieß stattdessen ein zufriedenes Grunzen aus.
»Lass sehen! Das tut bestimmt weh. Ich will dir nichts tun.« Behutsam legte sie dem Wolf eine Hand in den Nacken, mit der anderen tastete sie nach seiner Schulter. Den Schmerz ihrer eigenen Verletzung ignorierte sie. Sein Blut netzte warm und klebrig ihre Finger, doch die Wunde konnte sie in dem dichten Pelz nicht ertasten. Ein forscheres Vorgehen wagte sie allerdings nicht.
»Ein Tierarzt sollte sich das ansehen. Nur weiß ich nicht, ob es hier einen gibt.« Oder was er von einem Werwolf als Patienten hielt. Sie musste sich widerwillig eingestehen, dass derjenige, den sie vorhin für Pawel Tworek gehalten hatte, selbst ein Werwolf gewesen war und nicht der ihr bekannte Werwolfjäger. Wahrscheinlich eine Familienähnlichkeit. Bestimmt war Pawel deshalb Jäger geworden, weil sein Vorfahre ein Werwolf gewesen war.
Der Wolf schmiegte den Kopf an ihren Oberschenkel und schaute zu ihr auf. Sie glaubte, Zärtlichkeit in seinen Augen zu lesen. Sie wagte sich noch einmal an die Schulter des Tiers, tastete nach der Wunde. Der Wolf blieb ruhig, als spürte er keinen Schmerz. Tatsächlich schien ihr die Verletzung nicht gefährlich, die Blutung hatte aufgehört, und es fühlte sich an, als schlössen sich die Ränder bereits.
Gedankenverloren kraulte sie ihn im Nacken. Plötzlich hielt sie ein Büschel Haare in der Hand. Das Wolfsfell sah nicht mehr glänzend aus, sondern wie bei einem räudigen Hund. Der Wolf hatte immer noch den Kopf an
Weitere Kostenlose Bücher