Der Kuss des Werwolfs - 1
jetzt schon lebt?«
»Wir leben lange. Tatsächlich sind wir unsterblich.«
Jetzt war ihre Neugier geweckt. »Wieso habt ihr dann Angst vor den Jägern, wenn sie euch doch gar nichts anhaben können?«
»So einfach ist es leider nicht. Silber beendet unser unsterbliches Dasein — es verbrennt uns, und das wissen die Jäger. Aber jetzt genug davon! Ruh dich ein paar Stunden aus. Bald reisen wir ab, und zwar ans Meer. Spätestens morgen früh. Hier ist es nicht sicher für dich, wenn Derenski es auf dich abgesehen und dich sogar schon an der Schulter gezeichnet hat.« Er drückte ihr einen Kuss aufs Haar, und bevor Nola etwas sagen konnte, hatte er das Zimmer bereits verlassen.
Sie blieb zurück und bewegte probehalber die verletzte Schulter. Außer einem Spannen spürte sie keinen Schmerz, dafür hatte sie plötzlich Hunger. Das lag bestimmt an den Fleischplatten, deren Duft ihr verführerisch in die Nase stieg. Sie nahm eine Scheibe Braten und hörte erst wieder auf zu essen, als sie glaubte, platzen zu müssen.
Endlich reiste Rhodry mit ihr ans Meer!
Kapitel 14
Auf ein Wort, Freund.« Eugene eilte hinter Rhodry her.
Es war weit nach Mitternacht, die Morgendämmerung nicht mehr fern, und beide hatten in dieser Nacht nicht eine Minute geruht. Rhodry verlangsamte seine Schritte nicht, sondern eilte die Treppe in die Eingangshalle der Burg hinunter. Ein Werwolf kam ihm entgegen, seinem Aussehen nach zu urteilen deutlich älter als der Rudelführer, tatsächlich zählte er jedoch nicht mehr als achtzig Jahre; er steckte Rhodry einen Brief zu. Der warf einen Blick auf das Schreiben und steckte es in seine Jackentasche. Eugene setzte sich mit einem Sprung neben ihn.
»Hältst du das für klug?«
»Was?«
»Was du vorhast, in dieser Lage?«
Sie hatten die Eingangshalle erreicht, und Rhodry blieb stehen, drehte sich zu seinem Freund um. »Ich muss sie in Sicherheit bringen. Dieser Köter hat sie gezeichnet.«
»Ist sie nicht sicherer auf Shavick Castle? Es sind fast fünfzig unserer Wölfe hier. Jeder wird alles für sie riskieren.«
»Derenski hat sie einmal beinahe erwischt, und er hat sich ihr in der Zukunft genähert. Ich will sie in Sicherheit wissen.«
»Wir brauchen dich hier. Die Wölfe brauchen ihren Rudelführer.«
»Würdest du in meiner Lage nicht auch zuerst an Moira denken?«
»Ich … ich kann mir deine Situation nicht richtig vorstellen«, gab Eugene zu. »Moira war nie Menschin und immer so stark wie die Besten unter uns.«
»Nola wird auch so werden, ein richtiges Alphaweibchen. Sie hat es in sich, ich spüre das. In zwei Tagen bin ich zurück. Bis dahin hältst du hier die Stellung. Derenski wird in der Zeit kaum so viele Wölfe zusammenbekommen, um einen Angriff zu wagen. Ich habe einen Boten nach London geschickt, zu den Freien. Raphael Langdon wird uns unterstützen, er ist mir was schuldig. Versucht der Köter, noch mehr seiner Kreaturen ins Land zu bringen, werden sie es verhindern.«
»War der Brief von ihm?«
»Ja. Wir führen alles so durch wie geplant.«
»Du meinst wirklich alles? Auch den …«
»Alles.«
Eugene schüttelte den Kopf. So war Rhodry: Von seinen Plänen ließ er sich durch nichts abbringen. Er konnte eiskalt sein, aber im nächsten Augenblick um den jüngsten Wolf im Rudel besorgt. Genau dafür wurde er bewundert.
»Bis dahin haben wir Derenski so zugesetzt, dass er sich wünschen wird, niemals eine Pfote auf diese Insel gesetzt zu haben. Und wenn nicht, soll er nicht glauben, dass wir uns vor ihm fürchten.«
Rhodry stürmte auf den Hof; Dalton konnte im letzten Moment die Tür für ihn öffnen. Vor den Stallungen stand eine Chaise, vor die paarweise vier schwarze Pferde gespannt waren. Ihr Atem dampfte in der kalten Nachtluft, und sie stampften unruhig mit den Hufen - entweder aus Furcht vor den Werwölfen, die auf den umliegenden Mauern und dem Turm Posten bezogen hatten, oder aus Lust auf einen Galopp in den Morgen hinein. Bei jedem Paar stand ein Stallbursche und hielt ihre Köpfe, ein dritter verstaute einen Koffer und eine Reisetasche im Kutschkasten. Der Kutscher lief neben der Chaise auf und ab, er trug mehrere Jacken und Umhänge übereinander, hatte sich Felle über die Hosen gebunden und eine Pelzkappe über die Ohren gezogen. Er hatte mehr Ähnlichkeit mit einer Tonne als mit einem Menschen.
Ein Lächeln huschte über Rhodrys Gesicht. Es war alles so, wie er es angeordnet hatte. Nur eine fehlte noch.
Und da kam sie schon, gefolgt von ihrer
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