Der Kuss des Werwolfs - 1
Die Sehnsucht nach Igor hatte ihr schlechtes Gewissen überdeckt, auch wenn sie jetzt einen schalen Geschmack im Mund hatte. Was sie getan hatte, war Verrat. Nach den Gesetzen eines jeden Rudels konnte sie dafür getötet werden. Nicht einmal die Freien würden sie verschonen - dennoch würde sie keinen Augenblick zögern, es erneut zu tun.
Metallklammern schlossen sich um ihren Knöchel, drangen tief in das Fleisch ein, knirschten über den Knochen. Brennender Schmerz schoss wie eine Flamme durch ihren Körper. Sie stürzte keuchend zu Boden und umklammerte ihren Knöchel. Blut quoll aus dem Stiefel hervor und lief über ihre Hände, mit denen sie den Knöchel umklammerte. Sie war in die Silberfalle eines Werwolfjägers geraten, die über eine Kette mit einem Busch verbunden war. Ianthe ignorierte den Schmerz und zerrte daran, doch sie war nicht stark genug, um die Kette zu zerreißen. Die Haut in ihrem Nacken zog sich zusammen, und sie hatte keine Kraft, die Verwandlung zu verhindern. Knurrend und halb wahnsinnig vor Schmerzen hockte sie im nächsten Moment in Wolfsgestalt auf dem Boden.
Nach wie vor schloss sich die Silberfalle um ihr linkes Hinterbein. Ianthe zerrte noch einmal an der Kette - ohne Erfolg. Winselnd und entkräftet beendete sie ihre Raserei und sank zu Boden, den verletzten Fuß von sich gestreckt. Das Gift des Silbers brannte in der Wunde, und mit jedem Augenblick wurde es schlimmer. Ihre Werwolfsinne wussten, dass sie innerlich verbrennen würde, wenn sie sich nicht von der Falle befreien konnte. Sie begann, an der Stelle über der Verletzung zu nagen. Schließlich hatte sie den Knochen freigelegt. Sie zitterte und ihr graute vor dem letzten Schritt, aber das tödliche Silber fraß sich unaufhörlich in ihren Körper.
Ianthe nahm all ihren Mut zusammen und biss ihren Knochen durch. Sie musste zweimal zupacken, bis sie es geschafft hatte. Auf dem Bauch kroch sie ein paar Schritte fort. Der Fuß blieb in der Falle zurück, die fahl im Mondlicht schimmerte und doch in den Augen der Werwölfin brannte. Ianthe rollte sich ein und leckte über ihre Wunde. Sie spürte noch das silbrige Gift in ihrem Blut. Sie biss Fellfetzen und heraushängende Sehnen ab. Sie wusste nicht, wie lange sie im Gras lag und die Wunde leckte - jedenfalls war es längst Tag, als der Blutstrom versiegte und der Schmerz nachließ.
Mühsam erhob Ianthe sich und versuchte einen Schritt auf drei Beinen. Sie schwankte gefährlich, und der Schmerz wallte wieder auf, als sie den Stumpf kurz auf dem Boden aufsetzen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie schickte ein Heulen in den Himmel.
Ihr zielloses Umherwandern hatte sie weit fortgeführt von Shavick Castle, und der Rückweg auf drei Beinen kam ihr noch unendlich viel länger vor. Alle paar Schritte musste sie anhalten, um wieder zu Atem zu kommen. Die benötigten Abstände zwischen den Pausen wurden immer kürzer, und am Ende musste Ianthe nach jedem Schritt innehalten. Und immer noch war der Turm von Shavick Castle nicht in Sicht. Sie schleppte sich verzweifelt voran und nur der Gedanke daran, dass sie für jeden Werwolfjäger jetzt eine leichte Beute wäre, trieb sie noch an.
Nola wachte auf und wusste im ersten Moment nicht, was sie geweckt hatte. Sie und Rhodry waren im Morgengrauen auf Shavick Castle angekommen, und sie war so schlaftrunken gewesen, dass er sie auf ihr Zimmer getragen hatte. Anschließend hatte Jane sie zu Bett gebracht, daran konnte Nola sich dunkel erinnern, bevor sie tief und traumlos den versäumten Schlaf der letzten beiden Nächte nachgeholt hatte.
Sie rieb sich die Augen. Und auf einmal spürte sie durch die dicken Mauern von Shavick Castle hindurch Unruhe. Hatte etwa der Angriff der Krakauer begonnen? Es wäre Rhodry zuzutrauen, sie schlafen zu lassen und die Sache allein auszufechten. Sie schwang die Beine aus dem Bett, fuhr in Fellpantoffeln und zog sich einen Morgenmantel über. Jane war nirgends zu sehen.
Auf dem Flur verstärkte sich Nolas Eindruck der Unruhe. Sie sah niemanden, aber die ganze Burg schien zu vibrieren. Eilig lief sie den Flur entlang und hinunter in die Eingangshalle. Vor der Tür traf sie Rhodry, Eugene, Moira und mindestens ein halbes Dutzend andere Werwölfe an. Sie stellte sich an Rhodrys Seite, schmiegte sich an ihn, und ganz automatisch schlang sich sein Arm um ihre Taille. Amelia und die Köchin liefen durch die Halle, die eine trug eine dampfende Schüssel Wasser, die andere einen Stapel Tücher. Sie
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