Der Kuss des Werwolfs - 1
gerichtet, mehr als 50 Werwölfe, jeder von ihnen viel stärker als ein Mensch und mit Sinnen ausgestattet , die die ihren weit übertrafen. Da verhinderte nicht das schönste Kleid und die kunstvollste Frisur, dass sie sich klein vorkam. Rhodry schien es zu spüren. Er flüsterte ihr zu: »Du bist die Schönste heute Abend, Prinzessin.«
Die charmante Lüge tat ihr gut, denn auch alle Werwölfe sahen verdammt gut aus, das schien ihr Markenzeichen zu sein. Sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, welcher gutaussehende Schauspieler, welche strahlende Actrice in Wirklichkeit ein
Werwolf war. Sie erkannte Eugene und Moira, und beide zwinkerten ihr zu. Rhodrys und ihr Erscheinen war das Zeichen für die übrigen, ihre Plätze einzunehmen. Stoff raschelte, Stühle wurden gerückt, schließlich gingen sie an einer schweigenden, sitzenden Menge vorbei, und mehr als alles andere machte das Nola die Bedeutung des Abends bewusst. Ihr Herz flatterte, nur Rhodrys Griff bewahrte sie davor, aus dem Saal zu fliehen.
Ihr Platz war am Kopfende des Tisches und der Weg weit.
»Ich bringe keinen einzigen Bissen herunter«, raunte sie in sein Ohr.
»Das wird die Köchin betrüben. Seit zwei Tagen gibt sie sich mit dem Essen alle Mühe.«
»Bestimmt gibt es Unmengen Fleisch.«
»Nun ja — das ist bei uns so. Aber es gibt auch süße Brötchen, Saucen, Kuchen, Puddings, Gelee und Obst. Ich habe das extra für dich geordert.«
Seine Aufmerksamkeit rührte sie, einer Antwort wurde sie jedoch enthoben, denn sie erreichten ihre Plätze. Die Lakaien zogen die Stühle zurück und schoben sie ihnen wieder hin. Über Eck saß Eugene neben Nola und lächelte ihr aufmunternd zu. Weiter unten am Tisch saß Brandon Hatherley und gab sich alle Mühe, ihren Blick einzufangen. Sie schaute stur geradeaus.
Der Earl hielt eine Begrüßungsansprache, stellte Nola vor und nannte nacheinander die Namen der anwesenden Rudelmitglieder. Die Namen flogen an ihr vorbei, sie registrierte nur, wie ihr Lakai am Ende des Vorstellungsmarathons Wasser und Champagner einschenkte, und sie wünschte sich inständig, nicht aufgefordert zu werden, auch ein paar Worte zu sagen.
Rhodry neigte den Kopf zu ihr. »Keine Angst, Prinzessin, so steif geht es nicht lange zu. Lass erst das Essen aufgetragen sein, und du wirst sehen, was wir für eine fröhliche Bande sind. Dalton besteht darauf, dass der große Speisesaal eine angemessene Zeremonie verlangt. Deshalb beginnt alles so förmlich.«
»Dalton verlangt …«
»Dalton ist eine Macht auf Shavick Castle. Man darf ihn nicht unterschätzen.«
Ein Werwolf stand auf, für ihn konnte Nola nur ein Wort finden: alt. Das Haar war eine graue Löwenmähne, die an Beethoven erinnerte, das Gesicht voller Falten und Runzeln. »Ich möchte einen Toast ausbringen auf unseren Rudelführer, der wieder unter uns weilt, und auf seine Seelenpartnerin Eleonore McDullen, auf dass beiden das ersehnte Glück vergönnt ist.«
Er prostete Nola zu. Dann folgte Toast auf Toast, sie wünschten Nola und Rhodry Glück, viele Kinder, eine gemeinsame Zeit, für die die Unendlichkeit noch zu kurz wäre. Obwohl sie nur am Champagner nippte, war das Glas bald leer. Sofort war der Lakai zur Stelle und füllte es auf. Das prickelnde Getränk stieg ihr zu Kopf, und wenn sie nicht bald was zu essen bekam, wäre sie am Ende völlig betrunken.
Als niemand mehr aufstand, um sein Glas auf sie und Rhodry zu erheben, klopfte Nola mit einem Löffel gegen ihres — der Champagner hatte sie mutig gemacht - und stand auf. »Ich danke Ihnen allen für die guten Wünsche.«
Ein wenig ungeschickt plumpste sie auf ihren Stuhl zurück. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sich jeder Wunsch darum gedreht hatte, wie sie als Rhodrys Seelenpartnerin ihr Leben an seiner Seite verbrachte, ohne die Wahl zu haben. War es richtig gewesen, sich zu bedanken, wenn andere über ihren Kopf hinweg entschieden?
Dalton klatschte in die Hände und wie von Zauberhand öffnete sich die Tür. Herein kam eine weitere Reihe Lakaien, die Terrinen trugen. Sie servierten klare Brühe mit Markklößchen. Dazu wurde Weißwein gereicht. Nola aß die Klöße und ließ die Brühe zurück. Sie brauchte was Handfestes im Magen, wenn sie nicht vom Alkohol übermannt werden wollte. Ein Blick auf ihre Tischnachbarn zeigte, dass auch die nur die Klöße aus der Brühe gefischt hatten.
»Brave Kleine, wie eine richtige Werwölfin«, sagte Rhodry zu ihr, als sie an ihrem Weißwein nippte.
Der Schluck
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