Der Kuss Im Kristall
wenn er jemandem im Rücken steckte.
Rob blieb stehen, warf einen Blick zu den Sternen hinauf und atmete die milde Luft tief ein, die aus Südwesten heranwehte und den Schnee in Matsch verwandelte. Einen kurzen Moment lang war alles klar und einfach. Er war wieder frei. Alethea erwartete ihn.
Dann kehrte die Wirklichkeit zurück. Es gab noch so viel zu tun – ein Mörder musste gefangen und eine Frau geheiratet werden.
Wenn sein Aufenthalt in Newgate etwas Gutes mit sich gebracht hatte, dann, dass er durch nichts abgelenkt wurde und genügend Zeit zum Nachdenken gehabt hatte. Jetzt wusste er ohne jeden Zweifel, dass Alethea recht gehabt hatte. Er war nicht mit allen Opfern bekannt gewesen. Er war nur ein weiteres Glied in der Kette, genau wie Aletheas Tante Henrietta es gewesen war. Ihr war er nie begegnet – weder als Henrietta Lovejoy noch als Madame Zoe – und den einzigen Berührungspunkt bildete Maeve.
Das also war die Gemeinsamkeit: Maeve. Rob hatte sich gefragt, wen er betrogen hatte, dabei hätte er sich fragen sollen, wer ihn betrogen hatte. Maeve. Sie war die Verbindung. Nachdem er das begriffen hatte, fügte sich alles andere zusammen. Aber Maeve war tot. Er hatte an ihrem Grab gestanden und an Hamishs, in einem kleinen Dorf vor Algier, kurz bevor die Männer des Dey ihn gefangen hatten. Aber es gab noch eine weitere Person. Maeves Liebhaber. Hamishs Vater. Am Ende war es nicht so schwer gewesen, das herauszufinden.
Alethea suchte nach der Nachricht, von der Rob erzählt hatte, aber auf dem Tisch lag sie nicht. Sie sah sich im Zimmer um, und ihr Blick fiel auf den Boden vor dem Kamin, wo das Briefchen lag. Hatte möglicherweise ein Luftzug das Blatt hierher geweht? Wieder und wieder dachte sie fieberhaft darüber nach, wer McHughs Aufenthalt verraten haben konnte, während sie das Blatt aufhob und die feste Handschrift betrachtete. Wenn Douglas das Zimmer gemietet hatte und Rob nur ihr durch diese Nachricht mitgeteilt hatte, wo er zu erreichen war, wer konnte ihn dann an die Behörden ausgeliefert haben?
Mit einem Seufzer wickelte sie Tante Henriettas Kristallkugel in Papier und packte sie in die Holzkiste am Fuß des Bettes. Als Nächstes kam die kleine Uhr auf dem Kaminsims an die Reihe, und sie musste das Pendel anhalten, ehe sie auch dieses Stück in Papier wickelte. Elf Uhr. Noch eine Stunde, dann brach das neue Jahr an. Sie betete, es möge Besseres bringen als das alte Jahr.
Mit einem Anflug von Traurigkeit zog sie das Bett ab, faltete das Bettzeug zusammen und legte es als Polster auf die zerbrechlichen Dinge. Die Decke duftete noch nach Rob, und das würde so bleiben, bis sie Little Upton erreichten und Alethea sie wusch. Oder vielleicht würde sie die Decke auch niemals waschen. Sie würde jede Nacht darin schlafen, Robs Duft genießen und sich erinnern.
Sie schüttelte die Gedanken ab und widmete sich wieder ihrer Arbeit. Nur ein paar Gegenstände noch, dann wäre sie damit fertig – Tarotkarten, Teetassen und das kleine Kundenbuch, das auf dem leeren Tisch lag und darauf wartete, verbrannt zu werden.
Sie hörte Schritte auf der Treppe, und ihr Herz schlug schneller. McHugh! Sie wandte sich zur Tür und durchquerte eilig den Raum, rechnete damit, dass die Tür aufging. Stattdessen klopfte es, und sie begriff, dass die Wächter Rob den Schlüssel wohl zusammen mit Überrock und Jacke abgenommen hatten. „McHugh!“, rief sie, nachdem sie den Riegel zurückgeschoben und die Tür geöffnet hatte.
Aber er war es nicht.
„Bedaure, Sie enttäuschen zu müssen, Miss Lovejoy. Ich wünschte, ich wäre McHugh. Er scheint mit schönen Frauen sehr viel Glück zu haben. Aber dann – dann wäre ich ein Mörder, oder?“
Sie tat ihr Möglichstes, um ihre Verwirrung zu verbergen.„Sir Martin. Ich dachte – das heißt, ich meinte …“ Sie schloss den Mund, ehe sie sich in noch größere Schwierigkeiten bringen konnte.
„Schon gut, Mädchen. Ich weiß es schon seit einiger Zeit. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich eintrete?“
Das hatte sie in der Tat, aber er war schon drin, warf den Hut beiseite und zog die Handschuhe aus.
„Ich konnte das Jahr nicht zu Ende gehen lassen, ohne mich von Ihnen zu verabschieden, meine Liebe. Als ich Miss Dianthe und Ihre Tante allein auf dem Maskenball eintreffen sah, hatte ich eine Ahnung, wo Sie sein könnten. Ich dachte ich komme vorbei und trinke eine Tasse mit Ihnen. Haben Sie Whiskey?“
„Ich …“
„Natürlich haben Sie Whiskey. Müssen Sie
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