Der Kuss Im Kristall
diesen verstörenden Gedanken beiseite. „Nein, Dianthe, du bist diejenige, die vor dem Ende der Saison einen Mann gefunden haben wird.“
„Oh, das hoffe ich. Deshalb habe ich ein neues Ballkleid bestellt, als ich mit den Thayer-Zwillingen heute Nachmittag einkaufen war. Hortense und Harriet meinten, ich sollte mir jeden nur möglichen Vorteil verschaffen.“
Ein neues Kleid? Alethea zuckte zusammen. Woher sollte sie für Dianthes Anschaffungen das Geld nehmen?
Dianthe blickte sie mit großen Augen an. „Oje. Hätte ich fragen sollen, ehe ich das neue Kleid in Auftrag gab?“
Alethea strich ihrer Schwester zärtlich über die Wange. Es würde Dianthe niederschmettern, wenn sie glaubte, ein Problem verursacht zu haben. „Ich wünschte, ich hätte dich begleitet. Ich weiß, wie gern du einkaufst.“
„Ich gebe dir das nächste Mal Bescheid, ja?“ Dianthe begann, sich die Nadeln aus dem seidigen blonden Haar zu ziehen, sodass es ihr über die Schultern fiel. „Warum hast du dich nicht in die Gesellschaft einführen lassen, Alethea? Tante Grace sagte mir, sie hat dir angeboten, für die Kosten aufzukommen, aber das wolltest du nicht.“
Dianthe sprach leiser weiter. „Hast du wegen Papa das Angebot von Tante Grace abgelehnt? Ist dir nicht klar, dass du nicht durchs Leben gehen und für seine Engpässe geradestehen kannst?“
„Engpässe?“ Alethea lachte leise. „Du bist eine Meisterin der Untertreibung, Dianthe. Vater war ein Bettler, der von seinen Freunden und seiner Familie so viel borgte, bis nichts mehr übrig war. Die Leute nahmen Reißaus, wenn sie ihn sahen. Erinnerst du dich nicht daran, wie peinlich das war? Ich will niemals so auftreten.“
„Er hat es für uns getan, Binky“, sagte Dianthe und benutzte dabei Aletheas Kosenamen.
„Ich hätte auf all das verzichten können, um nicht von der Wohltätigkeit leben zu müssen“, meinte Alethea.
„Keine Sorge“, erwiderte Dianthe beruhigend. „Mit harter Arbeit und Entschlossenheit haben wir das Glück gewendet. Du mit deinem hervorragenden Geschäftssinn und dem Geld, das du als Gesellschafterin von Tante Grace verdienst. Tante Henrietta, die sich von reichen Witwen als Reiseführerin anstellen ließ und ich mit meinen kleinen Konfitüren und Gelees, die wir auf dem Markt verkaufen konnten.“ Sie verstummte und warf Alethea einen Seitenblick zu. „Aber du könntest eine ausgezeichnete Partie machen, und dann müssten wir nicht mehr so hart arbeiten.“
Alethea betrachtete Dianthes Gesicht, bis sie das heitere Augenzwinkern bemerkte. Sie warf mit einem Kissen nach ihrer Schwester. „Das ist deine Aufgabe, Dianthe! Du wirst die hervorragende Partie machen, damit du mich im Alter versorgen kannst.“
„Ich werde entzückt sein, das tun zu können.“ Ihre Schwester seufzte dramatisch. „Es gibt da ein paar Männer, die ich bisher getroffen habe und denen ich mein Herz schenken könnte. Aber wo ist Tante Henrietta? In ihrem letzten Brief versprach sie, uns in der Stadt zu treffen und mir bei der richtigen Wahl behilflich zu sein.“
Schuldgefühle übermannten Alethea, und der Schmerz drohte die Oberhand zu gewinnen. Doch dem durfte sie jetzt nicht nachgeben. Wenn Dianthe die Wahrheit erfuhr, würde sie sich in Trauer zurückziehen, und vielleicht würde sie nie wieder eine Gelegenheit erhalten, sie in die Gesellschaft einzuführen. „Sie wurde in Griechenland aufgehalten, Dianthe. Ich bin sicher, wir werden bald von ihr hören.“
„Oh, das hoffe ich. Ich vermisse sie schrecklich, und ich weiß, ihr beide seid ganz wild darauf, dass ich eine gute Partie mache. Ich wünschte nur, sie wäre hier, um mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.“
Würde diese Spur von Verzweiflung Dianthes Vergnügen an ihrem Debüt trüben? „Ich werde nicht zulassen, dass du nur des Geldes wegen heiratest. Schwöre mir, dass du nicht ohne Liebe heiraten wirst.“
„Natürlich nicht, Binky. Und ich glaube nicht, dass ich mir Sorgen um deine Zukunft zu machen brauche.“ Dianthe grinste. „Ich sah diesen hinreißenden Lord Glenross mit dir tanzen, und auch Sir Martin Seymour schien ganz fasziniert von dir gewesen zu sein.“
Glenross. Ein seltsames Gefühl überkam Alethea, als sie daran dachte, wie er sie angeblickt hatte. Der Hauch von Verletzlichkeit, den sie an ihm bemerkt hatte, als sie ihn wegen seiner Manieren neckte. Sie war bereit zu schwören, dass der Schmerz, der ihn erfüllte, nicht nur mit dem Tod seiner Frau zusammenhing. Aber
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