Der Kuss Im Kristall
„Ja?“
„Zu schade, das mit Maeve und Hamish.“
Darauf wusste Rob nichts zu erwidern. Er gab dem Wirt ein Zeichen, damit der ihm noch einen Whisky brachte.
Seymour schüttelte den Kopf. „Du hättest sie nicht gehen lassen sollen.“
„Daran denke ich jeden Tag, Seymour.“ Beinahe riss er dem Wirt das neue Glas aus der Hand.
„Aber jetzt ist es zu spät.“
Er stürzte den Whisky mit einem einzigen Schluck herunter und stellte das Glas mit einem Knall auf den Tresen. „Ich gehe, Seymour. Mein Bett ruft.“
„Vielleicht solltest du es doch noch mal mit einem Mädchen probieren. Du bist zum Zerreißen gespannt, McHugh. Die kleinste Kleinigkeit bringt dich aus der Fassung. Wann hast du das letzte Mal …“
Kopfschüttelnd wandte Rob sich zur Tür. Er hatte nicht vor, Seymour zu sagen, dass er seit Monaten – nein, seit Jahren nicht mit einer Frau zusammen gewesen war. Und er hatte sich daran gewöhnt, angespannt zu sein. Verdammt, er begann sogar, Gefallen daran zu finden.
Alethea zog den warmen Hausmantel aus Samt fester um sich und kauerte sich vor den Kamin, während sie auf die Rückkehr von Grace und Dianthe wartete. Obwohl sie über wichtigere Dinge nachdenken musste, wanderten ihre Gedanken zurück zu dem Tanz mit Lord Glenross und wie es war, seine Hand an ihrer Taille zu spüren. Gern hätte sie noch einmal so etwas gefühlt, und Schuldbewusstsein breitete sich in ihr aus. Sie nahm sein Geld, tat so, als würde sie ihm die Zukunft vorhersagen, und benutzte das, was sie als Alethea Lovejoy erfuhr, um ihn glauben zu lassen, dass Madame Zoe hellseherische Fähigkeiten besaß. Zum ersten Mal kam sie sich wie eine gewöhnliche Schwindlerin vor.
Um alles noch schwieriger zu machen, hatte Alethea seit der Ankunft ihrer Schwester vor einer Woche Ball- und Reitkleider gekauft, Schuhe, Reitstiefel, Tanzschuhe, Handschuhe, Hauben, Retiküls, Vormittags- und Nachmittagskleider, Visitenkarten – und die Kosten summierten sich. Ihr Geld würde nicht reichen, um Dianthe eine zweite Saison zu finanzieren. Genau genommen würde sie es nicht einmal schaffen, Dianthe durch diese Saison zu bringen, wenn sie auf das Einkommen als Madame Zoe verzichtete.
Fünf Jahre lang schmachten und sparen, fünf Jahre harte Arbeit in Wiltshire und jetzt in London, und nun sollten sich all ihre Pläne in Luft auflösen, weil irgendein Schurke Tante Henrietta umgebracht hatte!
Alethea stand auf und begann, hin und her zu gehen. Sie hatte so viel verloren. Ihre Mutter, ihren Vater, Tante Henrietta, die mageren Ersparnisse, die ihre Mitgift sein sollten – alles weg! Sie hatte es so satt. Dianthe fand all diese Ungewissheiten aufregend, aber Alethea sehnte sich nach Sicherheit.
Plötzlich schreckte Hufgeklapper sie aus ihren Gedanken, und sie hastete zu ihrem Schlafzimmerfenster, als die Kutsche der Forbushs vor dem Haus hielt. Dianthe stieg heraus, begleitet von Grace und Lord Ronald Barrington, einem von Graces zahlreichen Verehrern. Sie eilten ins Haus, gerade als die große Standuhr viermal schlug. Alethea wusste, was jetzt geschehen würde. Lord Ronald würde einen Sherry trinken und dann wieder aufbrechen, sein Verlangen nach Grace noch immer unerfüllt.
Alethea ging vom Fenster weg, setzte sich mit gekreuzten Beinen aufs Bett und wartete. Als die Tür aufging und Dianthe hereintänzelte, lächelte sie.
„War es schön, Di? Lag dir der gesamte ton zu Füßen?“
Ihre Schwester löste die Bänder ihres Umhangs und ließ ihn zu Boden gleiten. „Es war wunderbar! Ich fühle mich wie eine Prinzessin! Ich liebe London. Und ich liebe all meine neuen Kleider! Oh, warum hast du nur nicht früher nach mir geschickt?“
„Ich hatte doch keine Ahnung, wie sehr dir London gefallen würde“, erwiderte Alethea lachend. „Und ich hatte nicht solchen Erfolg wie du.“
„Ich verstehe den Grund dafür nicht.“ Dianthe betrachtete sich im Spiegel. „Du bist viel hübscher als ich, Alethea, und so zierlich. Männer lieben das.“
„Ich bin keine Konkurrenz für dich, Di.“ Alethea schmunzelte. „Ich weiß, dass du das nicht hören willst, aber Männer finden Rothaarige betörend.“
„Ich bin nicht mehr so jung.“
„ Au contraire .“ Dianthe kicherte. „Mit fünfundzwanzig bist du eine reife Frucht, dazu bestimmt, vom Baum zu fallen.“
Alethea sah plötzlich vor sich, wie sie sich mit letzter Kraft an einem Ast festklammerte, während Robert McHugh darunter stand, bereit, sie aufzufangen. Erschauernd schob sie
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