Der Kuss Im Kristall
das würde sie nie erfahren. Glenross war ihr so gegenwärtig, dass er ihr Unbehagen verursachte. Er war herausfordernd. Aufregend.
Davon hatte sie genug gehabt. Ihr Vater war aufregend gewesen und hatte seine Familie mit seinen hochfliegenden Ideen mitgerissen. Aber sein verantwortungsloses Verhalten hatte der Familie die Zukunft und das Vermögen genommen. Nachdem ihre Mutter an der Schwindsucht gestorben war, hatte ihr Vater vor Trauer den Rest des Vermögens mit Alkohol und Glücksspielen verschleudert. Fünf Jahre später war er betrunken vom Pferd gefallen, hatte sich den Hals gebrochen und es Alethea und seiner Schwester Henrietta überlassen, sich mit den Auswirkungen seiner Exzesse zu beschäftigen.
Auch Glenross gab ihr das Gefühl, sich im freien Fall zu befinden, auf den Boden zuzustürzen in der Gewissheit, dass der Aufprall kommen musste. Sie war erregt, aber auch verängstigt, und dieses Gefühl war für sie unerträglich. Nachdem sie in den vergangenen fünf Jahren von der Hand in den Mund gelebt hatte, wollte sie sich einfach nur in Sicherheit wissen, frei von Zweifeln und Sorgen. Sie wollte Ruhe und die Aussicht darauf, dass ihr Leben entspannt und ohne schlimme Überraschungen verlaufen würde.
Mit Sir Martin war das etwas anderes. Gut aussehend, höflich, unkompliziert und sehr zivilisiert. Sehr verlässlich. Ja. Wenn sie in dieser Saison einen Mann wählen sollte, dann würde es Martin Seymour sein. Mit jemandem wie Seymour wäre das Leben einfach.
4. KAPITEL
Alethea öffnete die Bänder ihres grünen Wollumhangs und begann vor Mr. Evans’ Schreibtisch auf und ab zu gehen. „Wie sind die Buchungen für die nächsten Tage? Gut?“ Sie warf einen Blick auf den Kalender an der Wand. 15. Dezember. Nur noch sechzehn Tage, um den Mörder zu fassen.
„Ja, Miss Lovejoy. Von Montag an ab Mittag bis zum Tee. Nur eine Verabredung heute, später am Nachmittag. Ich denke, es wird Miss Henrietta freuen, dass das Geschäft so gut läuft.“
„Ja.“ Alethea räusperte sich. „Aber würden Sie ihr in den nächsten Wochen etwas freie Zeit verschaffen? Meine Schwester ist in der Stadt, und Tante Henrietta würde sie gern treffen.“
Sie wünschte, sie könnte ihm die Wahrheit sagen, aber die Mittwochsliga war übereingekommen, dass die Aussicht auf Erfolg umso größer war, je weniger Leute die Wahrheit kannten. Wenn sich die Nachricht verbreitete, dass ihre Tante tot war, würde der Schurke niemals den Köder schlucken.
Mr. Evans nickte. „Ich werde mich auf Termine für den Nachmittag beschränken.“
Alethea dachte an die endlose Reihe von Besuchen, Einkäufen und Besichtigungen und überlegte es sich anders. Jemand musste Dianthes Ausgaben unter Kontrolle halten. Unglücklicherweise schlug Dianthe in dieser Beziehung nach ihrem Vater. „Vielleicht einige am Abend und einige am Vormittag?“
„Wie Sie möchten, Miss Lovejoy.“ Der Agent machte sich daran, für sie eine Liste mit Namen und Daten abzuschreiben.
„Und – äh – sie möchte, dass Lord Glenross nur noch einen letzten Termin bei ihr bekommt.“
„Gab es Schwierigkeiten mit diesem Mann?“
„Eigentlich nicht. Aber – sie ist nicht sicher, was er von ihr will.“
Mr. Evans nickte und widmete sich wieder seiner Aufgabe. Als sie zusah, wie er die Termine auf einem Extrablatt notierte, kam ihr eine Idee. „Mr. Evans? Meine Tante bemerkte, dass einer ihrer Klienten während eines Besuches etwas verloren hat, aber sie weiß nicht mehr, wer es war. Es war in der letzten Novemberoder in der ersten Dezemberwoche. Sie hat ihre Liste verlegt und bat mich, Sie zu fragen, ob Sie ihr für diese beiden Wochen die Termine aufschreiben könnten.“
Mr. Evans schaute von seinem Blatt auf und spitzte die Lippen. Dann warf er einen vielsagenden Blick zu der Uhr auf dem Regal hinter ihm. „Das wird einen Moment dauern, Miss Lovejoy.“
„Vielen Dank, Sir. Ich werde warten.“
Sie setzte sich auf die Stuhlkante, sodass kein Zweifel darüber bestehen konnte, dass sie es eilig hatte. Der Mann beendete seine aktuelle Aufgabe, dann blätterte er in Henriettas Terminkalender bis zu der fraglichen Zeit und begann, die Namen aufzuschreiben.
Alethea konnte es kaum erwarten, der Mittwochsliga von ihrem brillanten Einfall zu erzählen. Zwar hatte Tante Henrietta in der Nacht, in der sie ermordet wurde, keinen Termin gehabt, doch es war möglich, dass sie ihren Mörder kurz davor gesehen hatte. Wenn Alethea Mr. Renquist diese Namen geben konnte,
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