Der Kuss Im Kristall
rechte Ärmel war zerrissen, und es fehlte ein Knopf.
Maeve hatte diese Knöpfe vor Jahren für seine gesamte Garderobe anfertigen lassen. Auf dem Wappen der Familie Glenross waren das schottische Einhorn und der Rabe der Glenross’ abgebildet, und Maeve hatte als Zierde der Knöpfe den Raben gewählt.
Dies war nicht der erste persönliche Gegenstand, der seit seiner Rückkehr verschwunden war. Er vermisste noch eine ganze Reihe anderer Dinge, die unterschiedlich wertvoll waren. Was, zum Teufel, ging hier vor?
Ein lautstarkes Klopfen an der Tür ließ ihn herumfahren. „Wer ist da?“, rief er.
„Douglas! Mach auf, Rob!“
Er hängte seinen Rock zurück in den Schrank, und als er die Tür entriegelte, schob Douglas sich herein.
„Was ist los, Doogie?“
„Diese Frau, Rob. Bebe benimmt sich außerordentlich merkwürdig.“
„Lass mich das kurz klarstellen.“ Rob nahm eine übertrieben nachdenkliche Haltung ein. „Du willst, dass ich dir die Frauen erkläre?“
„Ja.“ Sein Bruder nickte. „Du warst verheiratet, das ist mehr, als ich von den meisten meiner Freunde behaupten kann. Warum sind Frauen so unberechenbar? Warum ändern sie täglich ihre Meinung? Ich könnte schwören, dass Bebe mich am Montag noch geliebt hat. Am Dienstag bin ich der Feind. Mittwoch verwöhnt sie mich wie einen Dreijährigen. Und am Freitag bin ich der Antichrist.“
Rob räusperte sich. „Nun, ich bin überzeugt, das Ganze ist für die junge Dame in Hinsicht auf ihre Gefühle sehr belastend.“ In Wirklichkeit fürchtete er, das Leben mit Bebe Barlow würde immer voller Dramen sein. Aber es gab noch eine wichtigere Frage. „Wie sehr liebst du sie, Douglas? Genug, um ihre Launen zu ertragen?“
„Ja. Sie bedeutet mir alles“, versicherte sein Bruder. „Alles, was ich will, ist, dass sie glücklich wird, und ich fürchte, da versage ich kläglich.“
Rob klopfte ihm auf den Rücken und ging dann zu seinem Nachttisch, um seinem Bruder einen Drink einzuschenken. „Hier“, schmunzelte er und reichte ihm das Glas. „Das wirst du brauchen.“
„Welchen Rat hast du also für mich?“, fragte Douglas beharrlich.
Rob prostete ihm mit seinem Glas zu. „Kauf mehr Whisky.“
„Das ist also normal? Diese Launenhaftigkeit?“
„Woher soll ich wissen, was normal ist, Doogie?“
„Ja. Du und Maeve, ihr wart von Kindesbeinen an verlobt. Sie hatte viel Zeit, sich an die Vorstellung zu gewöhnen, dich zu heiraten.“ Douglas grinste. „Das ist der Grund, warum ihr beide nie gestritten habt. Zwei Körper, eine Seele.“
Douglas irrte sich. Rob und Maeve hatten nie miteinander gestritten, weil sie sich schlicht und ergreifend nicht genug geliebt hatten.
6. KAPITEL
Donnerstagmorgen saß Alethea bei einer Tasse Tee und las Dianthe einen Brief vor. Es schneite nicht, dafür regnete es ununterbrochen, und die ganze Welt wirkte unbehaglich. Alethea fragte sich, ob ihre düstere Stimmung an dem unwirtlichen Wetter lag oder an den Neuigkeiten.
„Ich fühle mich sehr geschmeichelt, dass ich überhaupt mit einer Einladung bedacht wurde, da unsere gegenwärtige Lage nicht mehr so ist wie einst.“ Das ist eine kolossale Untertreibung, stellte Alethea für sich fest, während sie die Seite umblätterte.
„Die Sheffields sind in der Lage, meinen Stand in der Gesellschaft zu verbessern und anderes mehr, das damit einhergeht, wenn man von einer der führenden Familien anerkannt wird. Daher bin ich überzeugt, dass ihr – du und Dianthe – verstehen werdet, wenn ich Charlies Einladung annehme.“
„Nein, das verstehe ich nicht.“ Dianthe schmollte. „Schreib ihm, Alethea, und sag ihm, die Männer, die er in London und in Tante Graces Salon kennenlernen könnte, würden ihm in der Gesellschaft mehr nützen als jede Verbindung, die er auf dem Lande knüpft. Devonshire, also wirklich!“
Ohne auf Dianthes Bemerkung zu reagieren, las Alethea weiter. „Wenn ich ganz ehrlich sei soll, Binky – auch wenn die Sheffields nicht eine so angesehene Familie wären, so würde ich trotzdem annehmen. Weihnachten auf dem Land ist immer fröhlicher. Ich vermisse Wiltshire, und nun, da Dianthe in London ist, verspüre ich kaum das Bedürfnis, in ein leeres Haus zurückzukehren, und auch die Aussicht, die Wintertage in Tante Graces Salon zu verbringen, ist wenig nach meinem Geschmack.“
Dianthe seufzte verärgert. „Offensichtlich hat er noch nicht gehört, wie populär Tante Graces Freitagssalon ist. Zwei adlige Mitglieder des ton haben
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