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Der Kuss

Der Kuss

Titel: Der Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kooky Rooster
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habe die Situation ausgenutzt. Ich …“, er stockte, suchte die Decke nach weiteren Eingebungen ab. Schließlich verlor er die Geduld und rief: „Ach verflucht! Ich wollte dich schon küssen, als ich dich das erste Mal sah.“
    Das saß. Genauso gut hätte er Michael eins mit einem Baseballschläger überziehen können.
    Vor drei Monaten war Lukas in die Wohnung nebenan gezogen. Michael erinnerte sich noch haargenau an diesen Tag. Er hatte seinen Nachbar für einen der Möbelpacker gehalten, als dieser mit einem anderen kräftigen Kerl ein Sofa das Treppenhaus hoch wuchtete. Michael war auf dem Weg zum Supermarkt gewesen, als sich auf Höhe des dritten Stocks ihre Wege kreuzten. Es erforderte ein geschicktes Kunststück, sich aneinander vorbei zu manövrieren.
    'Ein sehr rücksichtsvoller, freundlicher Handwerker'
, hatte Michael gedacht,
'erlebt man nicht oft.'
    Später, als sie sich anfreundeten, lachten sie über diesen Irrtum. Damals hätte Michael noch nicht im Traum daran gedacht, dass er sich mal ausgerechnet in diesen wilden, verwegenen Typ verknallen würde, den er für einige Jahre älter gehalten hatte, als er selbst – mindestens neunzehn.
    „Und jetzt?“, hörte sich Michael in bitterem Ton sagen, „Wirst du jetzt rüber rennen und mich wochenlang ignorieren? Oder wirst du mich gleich zur Sau machen, um mich für dieses Geständnis zu bestrafen? So läuft das doch, oder? Ein Schritt vorwärts, zwei zurück!“
    Lukas starrte Michael bestürzt an und es sah aus, als würde er gleich den Totenschädel fallen lassen.
    Himmel, Michael hasste sich für das, was er eben gesagt hatte. Am liebsten hätte er es sofort zurückgenommen – wünschte sich, es gäbe einen Löschknopf, mit dem man idiotische Reaktionen vernichten könnte.
    Andererseits hatte er tatsächlich Angst anzunehmen, was Lukas ihm eben gestanden hatte. Er fürchtete sich wirklich davor, dass dessen Stimmung sofort umschlagen und er wieder gemein und abweisend werden würde. Die Worte waren bitter und hart gewesen, aber ein notwendiges Schutzschild.
    „Ich versteh schon“, nuschelte Lukas, stellte den Schädel sachte zurück und steuerte mit hängenden Schultern die Tür an.
    Michael saß wie gelähmt auf dem Bett, erwiderte den flehentlichen Blick seines Freundes, ohne mit der Wimper zu zucken. Scheinbar enttäuscht, dass Michael ihn nicht aufhalten wollte, stürzte Lukas aus der Wohnung, schlug die Tür mit einem lauten Knall zu.
    Erst jetzt konnte Michael reagieren. Er sprang auf, griff sich den Totenschädel, streichelte einmal kurz darüber als wolle er Lukas Berührung auffangen, und schleuderte ihn dann mit einem Schrei gegen die Wand, wo er zerbrach und staubig zu Boden rieselte.
     

Getriebene Tiere
     
    „Was war
das
denn?“, fragte Michaels Mutter, lehnte sich gegen den Türrahmen und musterte die Sauerei, die der Gipskopf hinterlassen hatte. Dabei glupschten ihre Augen verräterisch besorgt, ihre Mundwinkel zuckten, aber sie zwang sich zu dem, was sie für ein gelassenes Lächeln hielt. Sich konträr zu ihrer emotionalen Reaktion zu verhalten hielt sie für eine gute Möglichkeit, mit einem Sohn im Teenageralter in Kontakt zu kommen. Statt einer Antwort grunzte Michael bloß.
    „Worum ging's denn bei eurem Streit. Das war doch ein Streit, oder?“, trällerte sie im vertraulichsten Tonfall, den sie zustande brachte. Sie klang professionell – wie eine Sprechstundenhilfe. Ihr Sohn antwortete auch darauf nicht, zuckte nur mit den Schultern.
    „Hat
er
deinen Schädel zertrümmert?“, wollte sie wissen und kämpfte gegen den Impuls an, die Scherben aufzusammeln und einen Staubsauger zu holen. Eigentlich, das wusste Michael, war sie froh, dass dieses Ding endlich kaputt war, denn sie hatte sich oft beschwert, wie gruselig sie diesen Totenschädel fand.
    „Gewissermaßen!“, brummte Michael, meinte damit sowohl den aus Gips, als auch den auf seinem Hals.
    „Mach das hier weg, ehe du den Dreck in der ganzen Wohnung verteilst!“, forderte sie ihn schließlich auf, stieß sich vom Türrahmen ab und eilte davon.
    ***
    Eine Möglichkeit zu reagieren wäre gewesen, Lukas hinterher zu rennen. Stattdessen stürzte sich Michael in Sanierungsarbeiten seines Zimmers. Nachdem er die Gipsreste versorgt hatte, riss er alle Poster von den Wänden, warf sämtliche Überbleibsel seiner Kindheit weg: Figuren aus Überraschungseiern, Zeitschriften, die zu besitzen für einen Siebzehnjährigen so peinlich waren, dass sie hier nicht

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