Der Kuss
verhindern, dass dieser geliebte Arsch ihm auf den Fuß folgte.
„Hau mir eine runter!“, bat Lukas, als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel und das Treppenhaus sie finster und kühl empfing. Dabei legte er eine Hand zwischen Michaels Schulterblätter und ließ sie langsam über die Wirbelsäule hinunter, bis zum Steißbein, gleiten. Michael unterdrückte ein erregtes Stöhnen, konnte nicht anders, als sein Kreuz durchdrücken und die Schultern straffen. Was sollte diese bescheuerte Bitte denn nun schon wieder? Auch wenn Michael sich geschworen hatte, auf nichts einzugehen, auf nichts zu reagieren, jetzt drehte er sich langsam um und musterte Lukas entgeistert.
„Ich soll
was?“
„Hau mir eine runter“, wiederholte Lukas und stellte gefasst die Einkaufstasche ab. „Los, schlag mich, wenn es dir dann besser geht.“
Michaels Kiefer klappte runter und langsam wieder hoch.
„Was stimmt nicht mit dir?“ Er schüttelte bestürzt den Kopf.
Lukas verzog den Mund und stierte auf seine Schuhspitzen – er sah wirklich bedrückt aus. Michael hatte ihn den ganzen Heimweg keines Blickes gewürdigt. Hatte er die ganze Zeit schon so verletzlich gewirkt?
'Lass ihn nicht an dich ran, lass ihn auf keinen Fall an dich ran'
, mahnte sich Michael, doch er merkte, dass er sich seinem Freund wieder zu öffnen begann.
Er war noch immer stinksauer. Weniger wegen der Wunde auf seiner Lippe, als wegen der schrecklichen Vorwürfe, die er sich im Waschkeller hatte anhören müssen. Doch nun war der Drang Lukas zu umarmen, ihm zu verzeihen, fast übermenschlich groß. Um diesem Bedürfnis nicht nachzugeben, ballte er seine Fäuste und verkrampfte die Bauchmuskeln.
„Du kannst mir auch in die Lippe beißen, wenn du möchtest“, erklärte Lukas, und ein freudloses Grinsen huschte über sein Gesicht. Bei der bloßen Vorstellung, wie nah er Lukas dafür kommen müsste, prickelten Michaels Lippen und er leckte sich verräterisch darüber.
Als Lukas das sah, blitze Hoffnung in seinen Augen auf. Als wäre diese winzige Geste eine Aufforderung gewesen, machte er einen Schritt auf seinen Freund zu und legte liebevoll die Hände auf dessen Schultern.
Lukas' Mund war leicht geöffnet und seine glänzenden, braunen Augen blickten Michael mit einer solchen Sehnsucht an, dass der ein beharrlich süßes Zupfen an seinem Nabel vernahm. Er geriet ins Schwanken. Sein ganzer Körper fühlte sich zu diesem Idioten hingezogen.
Lukas' Hände rutschten langsam aufwärts, tasteten über den Hals, die Finger schoben sich hinter Michaels Ohren und begannen, das Haar in seinem Nacken liebevoll zu kraulen. Dabei suchte er noch mehr Nähe, verringerte den Abstand – so kurz davor, die Körper aneinander zu pressen.
„Fass mich nicht an!“, fauchte Michael plötzlich hysterisch, schleuderte die Arme mit einer unwirschen Bewegung von sich und taumelte zurück. Diese Reaktion überraschte ihn selbst mindestens so sehr, wie Lukas. Aus riesigen, erschrockenen Augen starrte er ihn an.
„Meine Güte“, stammelte er, „Ich verhalte mich schon genauso bescheuert wie du!“
„Was meinst du damit?“ fragte Lukas.
„Das ist nicht dein
Ernst
, dass du das fragst, oder?“, grummelte Michael und spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Als Lukas darauf nur mit den Schultern zuckte, drehte er sich um und stapfte die Stufen hoch.
Er hätte sich selbst in den Arsch beißen können. Verdammt, warum hatte er Lukas nicht zumindest ausgiebig geküsst, ehe er ihn von sich weg stieß. Was das betraf, war er wohl blöder als sein Nachbar. Mit jedem Stockwerk, dass er erklomm, Lukas dicht hinter sich, verfluchte er sich mehr dafür, ihm diesen Kuss nicht geraubt zu haben. Offenbar brauchte er nicht mal mehr Lukas' Stimmungsschwankungen, um sich ins Unglück zu stürzen, er schaffte das bereits im Alleingang.
Als sie keuchend ihr Stockwerk erreicht hatten und jeder mit seinem klirrenden Schlüsselbund auf die eigene Wohnungstür zusteuerte, hielt Michael inne, wandte sich Lukas zu.
„Warum hast du mir schon wieder einen Kuss angeboten – wenn du doch gar nicht schwul bist?“ Lukas schluckte, ballte die Faust fester um den Tragegriff der Einkaufstasche und musterte Michael langsam von den Beinen aufwärts bis zum Scheitel.
„Ich hab dir keinen Kuss angeboten. Ich hab vorgeschlagen, dass du mich beißt“, erklärte er knapp und mit belegter Stimme.
Hatte Michael die Situation schon wieder falsch interpretiert? War die Annäherung wirklich nichts weiter
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