Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kuss

Der Kuss

Titel: Der Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kooky Rooster
Vom Netzwerk:
näher erwähnt werden sollten, auch naive Zeichnungen von Ungeheuern, Androiden und Transformer, die er vor Jahren angefertigt hatte. Und noch eine ganze Menge anderes Zeug.
    Am nächsten Tag besuchte er einen Baumarkt, und kaufte sich von seinem Taschengeld die zwei dunkelsten Wandfarben, die er auftreiben konnte. Daheim mischte er sie zu einem undefinierbaren dunkelgraubraungrün. Zugegeben, nicht das angestrebte Ergebnis, aber dunkel, und dunkel war gut. Schwarze Farbe hatten sie nicht da gehabt.
    Ein Überbleibsel seiner naiven Vergangenheit, sein Kommunionskreuz, brachte er in einem Winkel von etwas mehr als neunzig Grad an der Wand an. Dazu fixierte er es stümperhaft mit Klebestreifen, und kritzelte, von dessen längerem Ende weg strömend, Munition an die Mauer, die quer über die Wand schoss. Mit weißer Kreide.
    Michael machte einen Schritt zurück: Hätten Patronenhülsen sein sollen, da er aber nicht so gut zeichnen konnte, sahen sie wie Tropfen aus. Zudem hatte er recht viel Malerkrepp verwenden müssen, um das Kreuz gut zu fixieren. Weiße Tropfen, die schräg nach oben aus einem länglichen Ding schossen, das nur noch in Fragmenten an ein Kreuz erinnerte – nun gut, früher oder später würde wohl auch seine Mutter kapieren, was mit ihm los war.
    Nach drei Tagen intensiver Arbeit – er hatte sich wirklich leidenschaftlich hineingestürzt, polterten Lukas' Worte immer noch durch seinen Kopf. Irgendwie hatte Michael gehofft, sein Nachbar würde noch einmal auftauchen, vielleicht kämpfen.
    Ja, das war lächerlich, aber Michael wünschte sich noch mehr Zeichen um sich zu trauen, um keine Angst mehr haben zu müssen, nach einem kleinen Schritt wieder weggestoßen zu werden. Doch da kam nichts. Mehrmals hatte Michael vor Lukas' Wohnungstür angehalten, einige Male sogar bereits die Faust zum Klopfen erhoben, seinen Zeigefinger über der Klingel kreisen lassen, aber dann hatte ihn immer der Mut verlassen.
    Was, wenn Lukas nicht geöffnet hätte, diese Schmach wollte er sich ersparen. Aber selbst wenn er sich vorstellte, sein Nachbar würde ihn herein bitten, was hätte er sagen sollen, was tun? Konnte er davon ausgehen, dass er willkommen war, oder müsste er sich bloß wieder anhören, dass er Lukas zu allem nur genötigt hatte?
    Michael lag auf seinem Bett. Das Zimmer wirkte jetzt kahl und morbid, hatte etwas von Gefängnis und Gruft. Perfekt! An einer Wand, recht weit oben, klebte ziemlich verloren ein dilettantischer Schwanz mit religiöser Vergangenheit und ejakulierte Richtung Fenster.
    Seine Mutter rang sich ein
interessant
ab, als sie das Ergebnis seiner tagelangen Bemühungen sah. Zunächst, als er seine Umbauarbeiten mit größtem Eifer in Angriff genommen hatte, freute sie sich noch. Dieses Engagement! Ihr Sohn arbeitete freiwillig! Vielleicht bewies er sogar handwerkliches Geschick, oder etwa Talent als Innenraumgestalter! Eine Hoffnung, die jäh einen qualvollen Tod starb. Zunächst versuchte sie es noch mit gut gemeinten Vorschlägen, als sie bestürzt entdeckte, wie die abscheuliche Farbe an der Wand fleckig und unansehnlich trocknete. Später streckte sie nur noch, mit vielen Runzeln auf der Stirn, den Kopf durch die Tür und nickte tapfer.
Interessant
eben.
    Michael legte die CD von jener Band ein, auf dessen Konzert er –
sie
– gewesen waren. Die wohl schlimmste Frage von allen, die ihn quälte, war jene, warum Lukas gesagt hatte, dass er ihn auf dem Konzert habe küssen wollen. Wann? Als sie Händchen gehalten hatten? Danach? Hatte er sich das selbst versaut, indem er geflüchtet war? Himmel – hatte er am Ende sogar selbst Lukas weggestoßen, indem er ihn alleine auf dem Konzert zurück ließ? Hatte Lukas deswegen einen Rückzieher gemacht?
    Andererseits – wer hatte sich denn zuvor zwei Wochen lang verbarrikadiert? Michael merkte, dass er bereits so etwas wie einen Denkmuskelkater hatte, aber egal welches Szenario er durchspielte, egal wie sehr er grübelte und jede Situation haarklein zerdachte – es wurde nicht besser.
    Seine Innereien hatten sich völlig neu geordnet – so chaotisch, dass eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen ihnen unmöglich geworden war. Daher hatte er keinen Appetit, brachte kaum etwas runter. Wenn er sich dazu zwang etwas zu essen, schob er jeden Bissen ewig in seinem Mund hin und her und schluckte ihn lautstark, als wolle er ein ganzes Huhn am Stück die Kehle runter würgen. Hinzu kam, dass in seinem Bauch neuerdings Ebbe und Flut in brandenden

Weitere Kostenlose Bücher