Der Kuss
brummte Lukas, und Michaels Herz versuchte sich an den Rippen festzukrallen um nicht runter zu plumpsen. Lange konnte es sich nicht mehr halten
„Ich will doch nur …“, stammelte Michael kleinlaut. Okay,
das
– war weder cool noch hart, sondern klang ausschließlich verzweifelt. Plötzlich tönte der Vorwurf, sich wie ein Hündchen zu benehmen, in Michaels Erinnerung wieder. Das war, neben der Unterstellung einer sexuellen Belästigung, der schlimmsten Vorwurf gewesen, den Lukas hatte machen können. Vermutlich, weil er zutraf.
„Du willst darüber
reden,
was vor einer Woche passiert oder
nicht
passiert ist? Verstehe ich das richtig?“, fragte Lukas, wobei er
'reden'
betonte, als wäre es ein unanständiges Wort. Er baute sich vor Michael auf – zumindest machte er einen Schritt auf ihn zu – einen kleinen zwar, aber das reichte schon. Um Michaels Eingeweide spülte tosend die Gischt reiner Erregung.
Er nickte kaum merklich und Lukas stöhnte genervt auf, taumelte zurück, griff sich mit beiden Händen theatralisch auf den Scheitel.
War es so schlimm, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen? Lukas wankte ein paar Schritte hin und her, lief irgendwie halb im Kreis, ließ seine Arme abwechselnd fallen und fuhr sich durchs Haar, schnaufte, zischte, schüttelte den Kopf. Endlich blieb er stehen und fixierte Michael, der das Schauspiel verstört mitangesehen hatte.
Vielleicht, so mutmaßte Michael, war Lukas eine kleine Dramaqueen. Okay, eine große, und vermutlich wäre '-king' die treffendere Bezeichnung, denn Lukas tat geradewegs so, als habe er eben erfahren, dass er Vater würde.
„Weißt du was
ich
will?“, keuchte Lukas und deutete dabei auf sein Brustbein, als habe er zu oft Robert De Niro zugesehen -
'Hast du mit 'mir' geredet? Du laberst 'mich' an?'
Michael hob fragend die Augenbrauen, zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.
„Und …
was
willst du?“, fragte er kleinlaut. Das war scheinbar auch die falsche Frage. Zumindest drehte Lukas ihm prompt den Rücken zu und holte tief Luft
„Lukas?“
Langsam drehte dieser sich um und hatte dabei ein so verstörend intimes Funkeln in seinen Augen, dass es Michael bis ins Steißbein kribbelte. Plötzlich verschwand dieser Blick, Lukas schaute Michael auf die Brust und stellte mit einem schrägen Grinsen fest:
„Steht dir gut, das Shirt.“
„Danke“, murmelte Michael, ziemlich überfahren.
„Solltest du öfter machen – ohne Pulli raus gehen. Ich verstehe eh nicht, wie du das bei diesen Temperaturen aushältst“, schob Lukas das Gespräch auf eine Ebene flachen Smalltalks.
„Mja, vielleicht“, gab sich Michael einsilbig.
„Weißt du, was dein Problem ist?“, kam es von Lukas. Michael sah ihn erstaunt an
„Ich
– hab ein Problem? Okay! Lass hören!“
„Du willst Sicherheit! Du willst alles
geregelt
haben. Du brauchst für alles einen guten Grund und eine Kategorie“, warf Lukas ihm hin. Michaels Gedanken polterten durcheinander.
„Und das ist schlecht, weil …?“, fragte er und dehnte das letzte Wort.
„… ich
nicht
so bin!“ Lukas ließ die Schultern sinken, als habe er eine schwere Last von sich gesprochen.
Michaels Magen taumelte wie ein kopfloses Huhn durch seinen Bauch, wusste nicht, ob das, was Lukas da sagte, nun gut oder schlecht war. Ob es bedeutete, er denke über mehr – Nähe – nach, oder ob er ihm gerade klar machte, dass es diese Nähe nie geben würde. Michael hatte das Gefühl, er stünde vor einem unendlich tiefen Abgrund.
Lukas machte einen Schritt auf ihn zu, noch einen, theoretisch hätte er ihn nun berühren können.
„Was willst du mir damit sagen?“, flüsterte Michael und spürte, wie seine Gesichtsmuskeln verrücktspielten. Heulen, lachen, sich freuen, verzweifelt sein – was war das gerade? Was passierte eben?
„Das hier“, hauchte Lukas, schob einen Finger unter Michaels Kinn, neigte sich zu ihm herab und drückte einen sanften Kuss auf dessen Lippen.
Vermutlich hätte es nicht mehr als eine flüchtige Berührung sein sollen, aber es war wie ein Sog. Zögernd, bald heftig, schlangen sie die Arme um den Körper des anderen und schnappten begierig nach dessen Lippen. Sie schmiegten sich aneinander, Brust an Brust, Bauch an Bauch, pressten drängend Becken an Becken, schoben die Schenkel zwischen die Beine ihres Gegenübers. Verlangend ließen sie ihre Zungen leidenschaftlich in ihren Mundhöhlen wühlen, neckisch miteinander spielen. Das Stadtviertel hielt den Atem
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