Der Kuss
lebhaftem Aufflackern in den Augen.
„Heißt das etwa, du bist schwul?“, fragte sie, und es lag etwas zu viel Begeisterung in ihrer Stimme. Für einen Moment wollte Michael alles abstreiten – dann aber dachte er, dass er sie damit vielleicht verscheuchen könnte. Zudem hatte er sie hier noch nie gesehen, warum also nicht bei einer völlig Fremden testen wie es war, damit rauszurücken?
„Ja“, gab er zu, und sein Herz begann sofort heftig zu klopfen, die Ohren wurden heiß. Verunsichert, regelrecht panisch, beobachtete er ihre Reaktion. Oh, Mann, wenn er bei einer Wildfremden schon so eine Scheißangst hatte, wie würde es ihm erst gehen, wenn er es seiner Mutter beichtete?
„Cool“, fand sie, blickte ein bisschen in die Ferne, betrachtete das Gras als wäre das nötig um neue Informationen einzuspeichern, und schubste dann wieder ihre Schaukel an, pendelte eifrig vor und zurück.
„Lass mal raten“, trällerte sie in die aufkommende Dämmerung, „Er will keine Beziehung und hat – um das klar zu machen – bereits einen Neuen?“
Michael erschrak, seine Ohren summten, er starrte sie mit geweiteten Augen an.
„Woher …?“, entfuhr es ihm aufgewühlt.
Wieder bremste sie rasch ab, sprang diesmal aber von der Schaukel, lief ein paar Meter und erbrach sich auf die Wiese, wobei sie sich an der Verstrebung des Kletterturms fest hielt. Michael wurde schlecht von den spuckenden Geräuschen, und er versuchte sich auf ein paar Krähen zu konzentrieren, die eben mit einem harschen '
Krah-Krah'
über die Dächer hinweg zogen. Die Nervensäge wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, drehte sich zu ihm um und grinste schief.
„Weil es
immer
so ist. Der Klassiker, sozusagen“, rief sie abgebrüht, kam auf ihn zu und streckte ihm ihre Hand hin. Hatte sie mit dieser nicht gerade Kotze von ihren Lippen gewischt? Michael blickte angeekelt darauf, griff aber schließlich zögernd zu.
„Ich bin Luise-Marie“, stellte sie sich vor und drohte dann: „aber nenn' mich bloß
niemals
so! Meine Freunde nennen mich Lu.“ Michael prustete nervös.
Lu?
„Michael“, stellte er sich vor, ließ sie seine Hand drücken und ächzte kurz auf. Sie hatten einen schmerzhaft festen Griff. Mit unsicher wackelnden Mundwinkeln zog er die Hand zurück um sie unauffällig an seiner Hose abzuwischen.
„Dein Name ist aber auch nicht besser.“ Sie nahm ihm offenbar seine seltsame Reaktion übel. „Wie nennen dich deine Freunde? Michi? Mike?“
„Ich habe k…, einfach nur Michael“, stellte dieser klar. Eine Weile schaukelten sie schweigend nebeneinander dahin, und hingen ihren Gedanken nach. Michael sah immer wieder vor sich, wie der tätowierte Kerl einen Arm besitzergreifend um Lukas legte und ihm die Zigarette in den Mund schob. Pfandfinderkekse!
Das
hatte
echt
wehgetan!
Lu schien ebenfalls nicht gerade an erhebende Dinge zu denken. Zumindest zischte sie immer wieder abschätzig. Gelegentlich schlug jemand in der Nähe eine Autotür zu, öffnete oder schloss geräuschvoll ein Fenster. Irgendwo kläfft ein Hund.
„Und du bist wirklich
schwanger?“
, durchbrach Michael schließlich das Schweigen, da es ihm immer unangenehmer wurde.
„Sieht man das nicht? Ich bin fett wie eine Seekuh!“, jammerte sie. Michael ließ den Blick über ihren Körper gleiten. Sie war nicht dick. Sie war – ganz normal, seiner Meinung nach. Das kleine Bäuchlein hätte er nie bemerkt, wenn sie nicht extra darauf hingewiesen hätte. Aber vielleicht schaute er bei Frauen nicht ganz so genau hin? Bei Lukas fielen ihm sogar neue Mückenstiche sofort auf.
„Und wie lange schon?“, fragte er, obwohl es ihn gar nicht interessierte. Er wollte nur höflich sein.
„Ich bin im vierten Monat.“ Sie verblieb in dem klagenden Tonfall, der hungrig nach totaler Zuwendung klang. Michael fühlte sich plötzlich wie auf Glatteis. Warum bloß hatte er ausgerechnet
dieses
Thema angeschnitten?
„Gewollt?“, platzte es aus ihm raus.
„Sag mal, bist du Kaspar Hauser oder was? So etwas fragt man doch keine wildfremden Leute“, empörte sie sich und boxte ihm in den Oberarm. Das tat weh, und er legte schützend seine Hand darauf.
„Na und? Du hast doch auch gefragt ob ich schwul bin!“, konterte Michael und fragte sich, ob er wohl einen blauen Fleck bekommen würde. Jetzt ließ er sich schon von schwangeren Mädchen schlagen!
„Das ist etwas anderes!“, wehrte sie ab, als habe sie die alleinige Deutungshoheit.
„Ist es nicht!“,
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