Der Lambertimord
vor Weihnachten nur noch mechanisch abarbeiten können und mehr oder minder wortlos die mitgebrachten Präsente abgegeben. Immerzu hatte er das Bild von Heike vor Augen, das Foto, das ihm Vander gezeigt hatte. Er konnte sich noch genau an jenen Sommertag im Wald erinnern, an ihr Stöhnen und ihre Lust. Aber jetzt wollte er den Tag nur noch vergessen und ganz aus seiner Erinnerung streichen.
Er hatte schon daran gedacht, zur Polizei zu gehen. Es wäre so einfach gewesen, als er mit Joosten auf dem Markt gestanden hatte und Frank Borsch zu ihnen gestoßen war. Ein kleines Wort, und er wäre alle Last losgeworden. Aber er hatte es nicht fertiggebracht. Er hatte an seinen Ruf in der Stadt denken müssen, an Christa, an van den Hövel. Außerdem hätte ihm die Polizei nicht geglaubt. Vielleicht hätten sie ihm vorgeworfen, die Erpressung nur erfunden zu haben. Böskes hatte Angst vor dem Gefängnis. Er wollte nicht hinter Gitter. Er hatte schon jetzt das Gefühl zu ersticken. Sie hätten ihn verurteilt, wegen der Indizien. Da war er ganz sicher.
»Hey, Böskes, nun laß’ mal nicht die Flügel hängen. Ich gebe dir mein Wort, du zahlst mir die Kohle und dann Schwamm drüber. Niemals werde ich dich noch mal mit der Geschichte behelligen. Du kannst dich auf mich verlassen.«
»Das habe ich gesehen, wie ich mich auf dich verlassen kann, du bist ein Schwein, Vander. Ein dreckiges Schwein.«
»Nanana, nun krieg’ dich mal wieder ein.«
»Vander, ich habe das Geld nicht.«
»Dann borg’ es dir. Frag’ van den Hövel, der hilft dir bestimmt.« Klaus Vander lachte meckernd. Er fand seine letzte Bemerkung witzig.
»Du bis so widerlich. Am liebsten würde ich dich …«
Vander unterbrach ihn. »Was würdest du am liebsten? Mich umbringen? Dazu hast du nicht das Format. Du bist ein jämmerlicher Wicht, Böskes, weißt du das? Ein jämmerlicher Feigling. Wer ist denn in den Wald gefahren, du oder ich?«
Böskes antwortete nicht, sondern versuchte wieder, durch das dicke Glas des Fensters zu sehen. Vergeblich.
»Na, siehst du? Sage ich doch, ein Feigling. Und damit du mich nicht mißverstehst: Ich sage es dir nur noch einmal, also höre gut zu. Ich will das Geld, und zwar spätestens übermorgen. Wir treffen uns am Lambertiturm. Ich muß sowieso noch mal ins Dorf. Der Lambertiturm ist gut. Das fällt nicht auf, wenn wir uns dort treffen. Der Bauunternehmer und der Baustoffhändler. Einen besseren Ort für ein unverfängliches Treffen zweier erfolgreicher Geschäftspartner kann es nicht geben. Findest du nicht auch? Prost, lieber Dieter.« Vander hob das Glas in Böskes’ Richtung und deutete ein Anstoßen an. »Laß’ uns was essen. Die Gans soll wirklich gut sein. Herr Ober, die Karte bitte.«
»Ich habe keinen Appetit. Vander, ich flehe dich an, du zerstörst mein Leben. Ich gebe dir 5.000 Euro. 5.000, mehr habe ich nicht. Das ist doch auch viel Geld.«
»Jetzt fang’ bloß nicht an zu feilschen. Wir sind hier nicht auf dem Jahrmarkt. Meine Geschäfte gehen schlecht, da kann ich jede Zuwendung gut gebrauchen. Außerdem steht Weihnachten vor der Tür, und ich habe noch so viele liebe Menschen zu beschenken. Übrigens, hast du eigentlich schon alle Geschenke?«
Böskes konnte sich kaum noch beherrschen. Er presste die Lippen aufeinander. Seine Hände hatte er längst zu Fäusten geballt. Die Knöchel traten weiß hervor, so fest drückte er sie zusammen. »5.000.«
Vander lächelte ihn an. »Ach, Dieter, du scheint es immer noch nicht verstanden zu haben. Soll ich dir noch mal das Foto zeigen? Als kleine Gedankenstütze. Wenn du willst, kannst du es behalten. Ich habe noch ein paar Abzüge machen lassen. Ging ganz problemlos.«
Böskes stand abrupt auf. Dabei stieß er gegen den Tisch. Sein Wasserglas konnte er noch geistesgegenwärtig festhalten, aber das Rotweinglas vor Vander kippte um und ergoß sich über die weiße Tischdecke. Wie Blut. Vander rückte mit einem Satz vom Tisch weg und fluchte. Wortlos verließ Böskes die Gaststätte. Er kümmerte sich nicht um den fragenden Blick des Wirts und das Tuscheln der anderen Gäste.
Sie waren wieder zu dritt im Vernehmungsraum. Zuvor hatten sich Frank und Ecki mit den Kollegen der Sonderkommission »Lambert« getroffen, um sich auf den letzten Stand der Ermittlungen bringen zu lassen. Die Atmosphäre im alten Rathaus war ein bißchen hektisch gewesen. Ständig klingelte ein Telefon, Kollegen kamen und gingen oder standen in kleinen Gruppen zusammen und
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