Der Lambertimord
Unterschiede waren, hatte Ecki gesagt. Keine drei Kilometer von hier stand das alte Haus von Masuhr, heruntergekommen und abweisend. Und hier die Villa des Bauunternehmers, ein Fachwerkbau, der sich nahtlos in die niederrheinische Landschaft fügte, mit freiem Blick auf die umliegenden Wälder. Nicht nur jetzt, unter der dünnen Schneedecke, eine idyllische Welt. Das großzügige Anwesen lag so abseits der anderen Bebauung, daß vermutlich nur Radfahrer, Ausflügler zu Fuß oder Gesellschaften im Planwagen an der breiten Hausfront vorbei kamen.
»Komm, laß’ es uns hinter uns bringen.« Frank schaltete das Radio aus und stieg aus. Er haßte diesen Teil seines Berufs, zu oft hatte er schon Angehörige erlebt, wie sie bei der Todesnachricht schreiend in sich zusammensackten oder sich stumm abwandten und stumm blieben. Auch Ecki brachte es kaum fertig, Angehörigen die Nachrichten vom einem gewaltsamen Tod zu überbringen. Das wußte Frank, da half auch keine Berufserfahrung. Der Tod verbreitete seinen Schrecken jedes Mal neu und jedes Mal auf andere Art. Beide gingen die wenigen flachen Stufen zum Eingang hoch. Frank klingelte.
»Ja?« Eine ältere Frau öffnete die Tür einen Spalt. Die Frau sah sehr gepflegt aus. »Was kann ich für Sie tun?«
»Mein Name ist Borsch, das ist mein Kollege Eckers. Polizei Mönchengladbach. Ich nehme an, Sie sind Frau Böskes?« Die Frau nickte. »Wir haben eine schlechte Nachricht für Sie.«
Bevor er weiterreden konnte, machte die Frau die Haustür ganz auf. »Kommen Sie bitte.«
Sie ging voran, führte die beiden Beamten in das großzügige Wohnzimmer und bat sie, Platz zu nehmen. Aus dem Fenster hatte man einen weiten Blick auf verschneite Wiesen und gestutzte Kopfweiden.
Frank räusperte sich. »Frau Böskes, Ihr Mann hat sich vor gut einer Stunde vom Lambertiturm in Breyell gestürtzt. Der Notarzt hat ihm nicht mehr helfen können. Er war schon tot, als der Rettungswagen kam.«
Christa Böskes hatte sich beim ersten Satz in einen Sessel sinken lassen, ohne den Blick von den Polizeibeamten zu nehmen. Die Ehefrau von Dieter Böskes nahm die Nachricht äußerlich gefaßt auf. Gefühlsregungen vor Fremden waren offenbar nicht ihre Sache, dachte Frank.
Sie saßen sich eine kurze Weile schweigend gegenüber. Ecki und Frank wollten die Reaktion der Witwe auf die Nachricht erst einmal abwarten.
Als Christa Böskes sprach, klang ihre Stimme leise und dabei brüchig. »Ich habe das gewußt, Herr Kommissar. Sie sind doch Kommissar?«
Frank nickte.
»Gleich als er aus dem Haus ging, wußte ich, daß er nicht zurückkommen würde. Ich habe es an seinem Blick gesehen. Es war ein Abschied für immer, das habe ich gewußt. Ich weiß auch nicht, warum.«
»Frau Böskes«, Ecki rutschte auf die Kante des tiefen Sofas, »haben Sie eine Ahnung, warum Ihr Mann das getan hat?«
Christa Böskes schwieg und sah aus dem Fenster, so als suche sie in den Kronen der Kopfweiden eine Antwort auf die Frage.
Frank wurde deutlicher. »Frau Böskes, auch wenn es jetzt vielleicht nicht der richtige Moment ist, wußten Sie, daß Ihr Mann ein Verhältnis mit einer wesentlich jüngeren Frau hatte?«
»Nein, das habe ich nicht gewußt.« Sie strich sich mit einer unbewußten Bewegung den Rock glatt. »Geahnt ja, aber nicht gewußt.« Christa Böskes sah Frank direkt ins Gesicht. »Wissen Sie, ein Mann in seinem Alter, Männer tun so was. Zumindest habe ich das erleben müssen. Eine junge Frau, ist das nicht zu verstehen? Sehen Sie mich an, ich bin alt, nicht schlank, habe häßliche Falten, graues Haar. Ich kann verstehen, wenn Männer solche Frauen nicht mehr lieben.«
Frank konnte die Tränen in ihren Augen sehen. Ihre Seele mußte furchtbare Schmerzen ertragen.
Sie sah wieder zum Fenster hinaus, als sie weitersprach.
»Ich habe meinen Mann geliebt. Ich bin für ihn da gewesen, habe ihm in der Firma geholfen, habe ihn mit seinen Freunden losziehen lassen, habe sein Schweigen ertragen, weil ich ihn geliebt habe. Können Sie das verstehen?«
Frank antwortete nicht. Er mußte an Ruth denken.
»Daß er ein Verhältnis hatte, zählt jetzt nicht mehr. Ich habe ihm verziehen, denn er hat mir alles erzählt.«
»Dürfen wir erfahren, was er Ihnen erzählt hat?« Ecki versuchte, ihr mit der Frage nicht weh zu tun.
Die Antwort kam ohne Zögern, die Stimme von Christa Böskes klang wieder fester. »Er hatte ein Verhältnis mit Heike van den Hövel. Er hat sie geliebt, aber er hat sie nicht umgebracht.
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