Der Lambertimord
»Mordkommission tritt auf der Stelle«, »Immer noch kein Täter«, »Tatort Wald. Kam die Polizei wieder zu spät?«, »Was verschweigt die Polizei?«, »Böllmann: die Beamten tun ihre Arbeit. Staatsanwalt stellt sich vor Polizei«, »Unfähig? Suchen Sie den Mörder, Herr Kommissar!«, »Jetzt reicht’s!«, »Heike in ehrenwerten Kreisen umgekommen? Was wissen die Nettetaler wirklich?«, »Wen decken die Nettetaler?«
Die Boulevardblätter hatten es sich nicht nehmen lassen, aus den Morden eine Serie über schlampige Polizeiarbeit zu machen. Frank warf die Zeitungsausschnitte auf den Tisch. Die Schmierfinken hatten gut schreiben. Es war natürlich einfacher, kübelweise Häme über ihn auszuschütten, statt sachlich bei den Fakten zu bleiben. Aber damit ließ sich ja in diesem Land mittlerweile keine Auflage mehr machen. Durch die nicht gerade motivierende Lektüre der Artikel war ihm die Lust vergangen, sich auch noch die Fernsehbeiträge anzusehen, die Schneider extra für ihn auf Video aufgenommen hatte. Darin kam bestimmt auch nichts anderes rüber als Kritik und Spott. Er schob die Kassette in die oberste Schublade des Schreibtisches. Das hatte Zeit, dachte Frank und nahm im Rausgehen seine Lederjacke vom Haken. Dabei fühlt er in der Innentasche nach seinem Handy.
Unten vor der Tür schlug ihm ein eiskalter Wind entgegen. Die dicken Glühlampen der Weihnachtsbeleuchtung, die der Werbering aufgehängt hatte, schwangen heftig hin und her. Der Dorfkern war in milchig trübes, gelbliches Licht getaucht. Niemand war unterwegs. Sogar die Frittenbude gegenüber war leer. Frank hatte das Gefühl, selbst der alte Lambertiturm hatte sich vor der beißenden Kälte hinter seine Planen geduckt. Bis Kreuels war es nicht weit. Trotzdem, die knapp 100 Meter vom alten Rathaus bis zur Tür der alteingesessenen Kneipe hastete Frank mehr als daß er ging.
Der Wirt stand allein hinter dem Tresen und grüßte Frank mit einem erwatungsvollen Lächeln. »Na? Was machst du denn noch in Breyell? Hast du nicht schon längst Feierabend? Oder ist die Polizei tatsächlich immer im Dienst? Habt ihr den Mörder von Heike immer noch nicht? Wird mal langsam Zeit.« Wilfried Kreuels wandte sich um und drehte die Musik leiser. Das war Frank nur recht, denn auf WDR 4-Musik hatte er nun wirklich keinen Bock.
Frank nickte nur kurz und hing seine Jacke auf den Ständer nahe beim Eingang. Auf dem Weg zur Theke sah Frank sich um. Keiner der Tische war besetzt. Die Kälte hatte wohl auch die härtesten Trinker zu Hause vor ihren Bierflaschen bleiben lassen, dachte er. Er kannte den Wirt noch aus der Schulzeit. Wilfried Kreuels mußte so um 1963 mit seinen Eltern nach Breyell gekommen sein. Sein Vater hatte damals die Wirtschaft Fußangel übernommen und aus dem Kino, das ursprünglich zu der Gaststätte gehörte, einen Veranstaltungssaal gemacht. Über Jahrzehnte war das »Hotel Kreuels« dann regelrecht zur Hochburg des Nettetaler Karnevals geworden. Davon zeugten die vielen gerahmten Fotos an den Wänden des rustikal eingerichteten Schankraums. Aber auch das Sommerbrauchtum war vertreten mit Fotos und der obligatorischen Vitrine für Fahnen und andere Schützen-Devotionalien. Kreuels war eine typische Dorfkneipe. Außerdem gab es sechs Gästezimmer, die vor allem von Geschäftsleuten genutzt wurden, die am Niederrhein besonders gebrauchte oder neue Textilmaschinen kauften.
Sein Freund Wilfried war nie der Schlankeste gewesen, dachte Frank, als er sich ein Alt bestellte. Aber in den vergangenen Jahren hatte er sich doch eine beachtliche Rundung angefuttert. Dafür waren seine Haare an den Ecken ziemlich licht geworden. Seine flinken Augen, denen nichts zu entgehen schien, standen in ziemlichem Kontrast zu der eher behäbig und gemütlich wirkenden Figur.
»Nee, laß’ man. Die Polizei ist nicht immer im Dienst. Und den Mörder von Heike haben wir immer noch nicht. Hast du keinen Tip für mich?«
»Was die Leute so reden? Ich kann dir sagen, was die Leute so reden. Daß ihr allesamt unfähig seid. Das reden die Leute.« Wilfried stellte Franks Bier auf den Tresen. »Wohlsein.«
Frank nahm einen tiefen Schluck. Tat das gut! Wenn er den Fall hinter sich gebracht hatte, würde er sich mit einem Kasten Bier im Proberaum verkriechen, schwor er sich, als er das Glas absetzte. »Ich weiß, daß die Ermittlungen auf der Stelle treten. Das muß mir keiner auch noch sagen.«
»Schlimme Sache mit Böskes, oder? Muß für van den Hövel ein ziemlich
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