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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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auch, als dieser Versuch fehlgeschlagen, eine Sühne, wenn ich mich meinem Kinde widmete? Als aber nach diesen beiden Anstrengungen meiner Seele Verachtung und Tod ewige Trauer darüber gebreitet hatten, als alle meine Empfindungen auf einmal verletzt wurden, und ich hienieden nichts mehr sah, hob ich die Augen gen Himmel auf und begegnete dort Gott. Indessen versuchte ich die Religion an meinem Tode mitschuldig zu machen. Ich las die Evangelien wieder und fand keine Stelle, wo der Selbstmord verboten wird. Diese Lektüre aber durchtränkte mich mit dem göttlichen Gedanken an den Heiland der Menschen. Wahrlich, er sagt dort nichts von der Unsterblichkeit der Seele, erzählt uns aber von dem schönen Reiche seines Vaters; er verbietet uns auch nirgendwo den Vatermord, verdammt jedoch alles, was vom Uebel ist. Der Ruhm seiner Evangelisten und der Beweis ihrer Mission besteht weniger darin, Gesetze geschaffen zu haben, als den neuen Geist der neuen Gesetze auf Erden verbreitet zu haben. Der Mut, den ein Mensch entwickelt, wenn er sich tötet, schien mir nun seine eigene Verurteilung zu sein: wenn er die Kraft zu sterben in sich fühlt, muß er auch die besitzen, zu kämpfen; sich zu leiden weigern ist keine Kraft, sondern Schwäche. Heißt übrigens, das Leben aus Mutlosigkeit verlassen, nicht den christlichen Glauben abschwören, dem Jesus als Basis die erhabenen Worte: ›Glücklich sind, die da leiden!‹ gegeben hat. Der Selbstmord erschien mir also in keiner Krise mehr entschuldbar, selbst bei einem Menschen nicht, der in einer fälschlichen Deutung der Seelengröße einen Augenblick, bevor der Henker ihn mit seinem Beile trifft, über sich selber entscheidet. Hat Jesus Christus, dadurch daß er sich kreuzigen ließ, uns nicht gelehrt, allen menschlichen Gesetzen, auch wenn sie falsch angewendet werden, zu gehorchen? Das Wort: Resignation, das in das Kreuz eingegraben und für alle, welche die heiligen Buchstaben zu lesen wissen, so verständlich ist, ging mir nun in seiner himmlischen Klarheit auf. Ich besaß noch achtzigtausend Franken, anfänglich wollte ich weit fort von den Menschen gehen und mein Leben verbringen, indem ich irgendwo auf dem Lande vegetierte; die Misanthropie jedoch, eine Art unter rauher Oberfläche verborgener Eitelkeit, ist keine katholische Tugend. Des Misanthropen Herz blutet nicht, es zieht sich zusammen, meines aber blutete aus allen Adern. Als ich an die Gesetze der Kirche dachte, an die Hilfsmittel, die sie den Betrübten gewährt, begriff ich schließlich die Schönheit des Gebets in der Einsamkeit, und es verfolgte mich der Gedanke, in ein Kloster zu gehen. Obwohl ich fest dazu entschlossen war, bewahrte ich mir nichtsdestoweniger die Möglichkeit, die Mittel zu prüfen, die ich zur Erreichung meines Ziels anwenden mußte. Nachdem ich die Ueberreste meines Vermögens flüssig gemacht hatte, reiste ich beinahe ruhig ab. Der ›Frieden im Herrn‹ war eine Hoffnung, die mich nicht täuschen konnte. Anfänglich von der Ordensregel des heiligen Bruno berückt, kam ich, ernsthaften Gedanken hingegeben, zu Fuß nach der Grande-Chartreuse. Es war ein feierlicher Tag für mich. Auf das majestätische Schauspiel, das der Weg dorthin bietet, wo sich bei jedem Schritte eine rätselhafte übermenschliche Macht zeigt, war ich nicht gefaßt. Die überhängenden Felsen, die Abstürze, die Wildbäche, welche eine Stimme in der Stille erheben, die durch hohe Berge begrenzte und dennoch grenzenlose Einsamkeit, das Asyl, wohin vom Menschen nichts dringt als seine unfruchtbare Neugier, jener wilde, nur durch die malerischen Schöpfungen der Natur gemilderte Schauder, die tausendjährigen Fichten und die Eintagspflanzen: all das stimmt einen feierlich, Es würde einem schwer fallen, zu lachen, wenn man die Einöde des heiligen Bruno durchquert, denn dort triumphieren die Gefühle der Melancholie. Ich sah die Grande-Chartreuse, erging mich unter jenen alten, schweigenden Gewölben und hörte unter den Arkaden das Wasser Tropfen um Tropfen fallen. Ich betrat eine Zelle, um dort das Maß meines Nichts zu nehmen, atmete den tiefen Frieden, den mein Vorgänger dort genossen hatte und las voller Rührung die Inschrift, die er der Klostersitte entsprechend über seine Tür geschrieben hatte; alle Vorschriften für das Leben, das ich dort führen wollte, waren in den drei lateinischen Worten: ›Fuge, late, tace‹ , enthalten ...«
    Genestas neigte den Kopf, wie wenn er verstanden hätte.
    »Ich war

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