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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Kräfte zu täuschen; sich seiner Leidenschaften und selbst allen gewöhnlichen Ehrgeizes entäußern, um Herr seiner Fähigkeiten zu bleiben, um unaufhörlich vorherzusehen, zu wollen und zu handeln; gerecht und absolut werden, die Ordnung im großen aufrechterhalten, seinem Herzen Schweigen auferlegen und nur auf seine Intelligenz hören, weder mißtrauisch noch vertrauensselig, weder zweiflerisch noch leichtgläubig, weder erkenntlich noch undankbar sein, weder hinter einem Ereignisse zurückbleiben, noch von einem Gedanken überrascht sein; endlich durch das Gefühl der Massen leben und sie immer beherrschen, indem man die Flügel seines Geistes, das Volumen seiner Stimme und das Durchdringende seines Blicks entfaltet, indem man nicht die Einzelheiten, sondern die Konsequenzen aller Dinge sieht, – heißt das nicht ein bißchen mehr sein als ein Mensch? Deshalb müßten die Namen dieser großen und edlen Väter der Nationen für immer populär sein.«
    Einen Augenblick über herrschte Schweigen, währenddessen die Gäste sich untereinander anblickten.
    »Meine Herren, Sie haben nichts von der Armee gesagt,« rief Genestas. »Militärische Organisation scheint mir der wahre Typ jeder guten bürgerlichen Gesellschaft; der Degen ist der Vormund eines Volkes.«
    »Rittmeister,« erwiderte lächelnd der Friedensrichter, »ein alter Advokat hat gesagt, daß die Reiche mit dem Degen begönnen und mit dem Tintenfaß aufhörten; wir sind beim Tintenfaß angelangt.«
    »Nachdem wir jetzt das Los der Welt geregelt haben, wollen wir von etwas anderem reden, meine Herren. Auf, Rittmeister, ein Glas Eremitagewein,« rief lachend der Arzt.
    »Lieber zwei als eins,« erwiderte Genestas, sein Glas hinhaltend, »ich will sie beide auf Ihre Gesundheit trinken; Sie sind ein Mann, der unserer Spezies Ehre macht.«
    »Und den wir alle innig lieben!« sagte der Pfarrer in herzlichem Tone.
    »Wollen Sie mich denn eine Sünde des Hochmuts begehen lassen, Monsieur Janvier?«
    »Der Herr Pfarrer hat nur recht leise geäußert, was der ganze Bezirk ganz laut sagt,« erwiderte Cambon.
    »Meine Herrn, ich schlage Ihnen vor, Monsieur Janvier nach dem Pfarrhause zu bringen und so einen Mondscheinspaziergang zu machen.«
    »Gehen wir,« sagten die Gäste, die sich anschickten, den Pfarrer zu begleiten.
    »Auf in meine Scheune,« sagte der Arzt, Genestas beim Arme nehmend, nachdem er dem Pfarrer und seinen Gästen Lebewohl gesagt hatte. »Dort, Rittmeister Bluteau, sollen Sie von Napoleon reden hören. Ich hab' einige Helfer, die Goguelat, unseren Landbriefträger, zum Plaudern über diesen Gott des Volkes bringen sollen. Nicolle, mein Pferdeknecht, hat uns eine Leiter hineingestellt, damit wir durch eine Dachluke auf den Scheunenboden und auf einen Platz klettern können, von wo aus wir die ganze Szene überblicken werden. Glauben Sie mir und kommen sie: eine Spinnstube hat ihre Reize. Nicht zum ersten Male krabble ich auf den Boden, um eine Soldatengeschichte oder irgendeinen Bauernschwank zu hören. Verbergen wir uns aber gut; wenn die armen Leute einen Fremden sehen, werden sie steif, machen Umstände und sind nicht mehr sie selber.«
    »Ei, mein lieber Wirt,« sagte Genestas, »habe ich mich nicht oft schlafend gestellt beim Biwak, um meine Reiter zu hören? Sehen Sie, ich habe in den Pariser Theatern nie so aus vollem Herzen gelacht, wie bei der Schilderung des Rückzuges von Moskau, den ein alter Kavallerieunteroffizier auf possenhafte Weise Konskribierten erzählte, die Bange vorm Kriege hatten. Er erzählte, die französische Armee habe in die Betten gemacht, man habe alles eisgekühlt getrunken, die Toten seien unterwegs stehengeblieben, man hätte Weißrußland gesehen, man habe die Pferde mit Bissen gestriegelt, die, welche gern Schlittschuh liefen, seien sehr auf ihre Rechnung gekommen, Liebhaber von Fleischgelee hätten sich satt daran essen können, die Weiber wären gewöhnlich kalt und das einzige wäre der Mangel an heißem Rasierwasser gewesen, was empfindlich unangenehm gewesen sei. Kurz, er lieferte so komische Schnurren, daß ein alter Quartiermacher, der sich die Nase erfroren hatte und den man ›Nasenab‹ nannte, selber darüber lachte.«
    »Pst!« sagte Benassis, »wir sind da; ich gehe voran, folgen Sie mir.«
    Beide stiegen die Leiter hinauf und warfen sich in das Heu, ohne von den Spinnstubenleuten gehört worden zu sein, über denen sie so saßen, daß sie sie gut sehen konnten. In Scharen um drei oder vier Kerzen

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