Der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele
dagestanden hatte.
»Asgard ist auch hier«, sagte er. »Alle Welten sind hier.«
Er zog unter seinen Fellen seinen großen Hammer hervor und betrachtete sich den Kopf eingehend und mit einer sonderbaren Gespanntheit, als wenn irgend etwas daran sehr rätselhaft sei. Kate überlegte, woher ihr diese Haltung bekannt vorkam. Sie merkte, daß sie in ihr den Wunsch erzeugte, sich instinktiv zu ducken. Sie trat einen ganz kleinen Schritt zurück und wartete aufmerksam.
Als er wieder aufschaute, lag eine völlig neue Spannung und Energie in seinem Blick, als sammele er sich, um sich auf irgendwas zu stürzen.
»Heute abend muß ich in Asgard sein«, sagte er. »Ich muß meinem Vater in der Großen Halle von Walhalla entgegentreten und ihn für das zur Rechenschaft ziehen, was er getan hat.«
»Du meinst, daß er dich hat walisische Kiesel zählen lassen?«
»Nein!« sagte Thor. »Weil er die walisischen Kiesel nicht zählenswert gemacht hat!«
Kate schüttelte wütend den Kopf. »Ich weiß einfach überhaupt nicht, was ich von dir halten soll«, sagte sie. »Ich glaube, ich bin einfach zu müde. Komm morgen wieder. Erklär mir morgen früh das Ganze.«
»Nein«, sagte Thor. »Du mußt Asgard mit eigenen Augen sehen, und dann wirst du begreifen. Du mußt es heute nacht sehen.« Er packte sie beim Arm.
»Ich will nicht nach Asgard«, widersetzte sie sich. »Ich fahre nicht mit fremden Männern zu mythologischen Stätten. Ruf mich morgen früh an und erzähl mir, wie's gelaufen ist. Mach ihm die Hölle heiß wegen der Kiesel.«
Sie wand ihren Arm aus seinem Griff. Es war ihr sehr, sehr klar, daß sie das nur mit seiner Erlaubnis konnte.
»Jetzt geh bitte, und laß mich schlafen!« Sie sah ihn zornig an.
In dem Moment war es, als wenn das Haus zerplatzte, als Neil sich an eine stampfende Baßversion von Siegfrieds Rheinfahrt aus dem I. Akt der Götterdämmerung machte, bloß um zu beweisen, daß man's machen kann. Die Wände wackelten, die Fenster klapperten. Es war gerade noch zu hören, wie die Tischlampe unter dem Tisch jämmerlich miaute.
Kate versuchte, ihren wütenden Blick beizubehalten, aber unter diesen Umständen ging das einfach nicht sehr lange.
»Okay«, sagte sie schließlich, »wie kommen wir dahin?«
»Es gibt so viele Möglichkeiten, wie es winzige Teilchen gibt.«
»Wie bitte?«
»Winzige Dinge.« Er hielt wieder Zeigefinger und Daumen in die Höhe, um etwas sehr Kleines anzudeuten. »Moleküle«, setzte er hinzu und schien sich bei dem Wort nicht sehr wohl zu fühlen. »Aber erst müssen wir mal hier raus.«
»Werde ich in Asgard einen Mantel brauchen?«
»Wie du meinst.«
»Na, ich nehme auf alle Fälle einen mit. Einen Augenblick.«
Sie fand, die beste Art, mit dem merkwürdigen Hokuspokus zu Rande zu kommen, der im Moment ihr Leben ausmachte, war, ganz nüchtern damit umzugehen. Sie nahm ihren Mantel, bürstete sich das Haar, sprach eine neue Mitteilung auf ihren Anrufbeantworter und stellte pflichtbewußt ein Schälchen Milch unter den Tisch.
»Okay«, sagte sie und ging ihm voran aus der Wohnung, schloß sie sorgfältig hinter ihnen ab und machte »Schscht«, als sie an Neils Tür vorbeigingen. Bei all dem Tumult, den er im Augenblick veranstaltete, lauschte er fast sicher auf das winzigste Geräusch und wäre, falls er sie vorbeigehen hörte, im selben Moment draußen, um sich über den Coca-Cola-Automaten zu beschweren, über die vorgerückte Stunde, über die Unmenschlichkeit zwischen Mensch und Mensch, über das Wetter, den Krach und die Farbe von Kates Mantel, der einen Blauton hatte, den Neil aus irgendeinem Grund ganz besonders ekelhaft fand. Sie schlichen sich mit Erfolg vorbei und schlossen hinter sich die Haustür mit dem allerleisesten Klick.
KAPITEL 23
Die Blätter, die auf Dirks Küchentisch fielen, waren aus dickem, schwerem Papier, das zusammengefaltet und offenbar durch viele Hände gegangen war.
Er sichtete sie eins nach dem anderen, löste sie voneinander, strich sie mit der flachen Hand glatt, legte sie säuberlich in Reihen auf den Küchentisch und machte, als es notwendig wurde, Platz zwischen den alten Zeitungen, den Aschenbechern und schmutzigen Porridgeschüsseln frei, die Dina, die Putzfrau, immer genau dort stehenließ, wo sie standen, wobei sie, deswegen zur Rede gestellt, behauptete, sie habe gedacht, er habe sie extra dahin gestellt.
Mehrere Minuten brütete er über den Papieren, besah sich eines nach dem anderen, verglich sie miteinander,
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